Disclaimer: Die Charaktere von Xena und Gabrielle sind Eigentum von Universal und Renaissance Pictures. Es ist keine Copyrightverletzung beabsichtigt.
Dank: Mein Dank geht an all jene, die mir Feedback zu Amazon Encounter geschickt haben. Eure netten Worte waren wirklich förderlich. Da die Geschichten mit einander verknüpft sind, ist es am besten, wenn sie in der Reihenfolge gelesen werden, in der sie online gestellt werden.
Warnung: Diese Geschichte gehört zu "Alternative Fiction". Bitte lest sie nicht, wenn ihr minderjährig seid oder es an eurem Ende der Welt illegal sein sollte.
Notiz: Die Orte und Geschichten in der Story sind real. Sie sind Bestandteile meiner eigenen Feldforschungen in der Türkei.

Turkish Encounter

By
Anne Azel
a_azel@hotmail.com

Übersetzung von finonomene@planet-interkom.de

Teil 1
Gunnul Dedeman schloss das alte, verwitterte Eisentor der kleinen Kammer auf, in der ihr Grab war. Sie schob sich durch das dichte Gesträuch und stand in der dunklen Höhle.
Hier, nah bei ihr, empfand sie immer Ruhe und Wohlbefinden. Ihre langen, starken Finger strichen über die raue, uralte Oberfläche des Steines. Einst musste es ein wunderschönes Grab gewesen sein. Sogar jetzt noch bedeckten altgriechische Buchstaben den Rand des flachen Reliefs aus längst vergangenen Zeiten. Doch die Namen der hier Begrabenen waren vor dreitausend Jahren in einer Sprache in den Stein geschlagen worden, die heute keiner mehr lesen konnte. Und so konnte auch keiner die Namen aus dieser Zeit mehr entziffern. Es ergab keinen Sinn. Überhaupt keinen Sinn.
Vielleicht sollte sie aufhören, hierher zu kommen. Die Bilder, die sich am Rande ihres Bewußtseins entwickelten, wurden seit Jahren immer stärker. Da gab es die erste Erinnerung aus ihrer Kindheit, wie sie durch die Büsche gekrochen war und plötzlich vor dieser Mauer aus uralten Steinen stand und wusste, sogar mit ihrem kindlichen Verstand, dass sie vor ihrem Grab gestanden hatte und ebenso vor ihrem eigenen. Wusste, als sie darüber geklettert war und die Namen gesehen hatte, die dort eingeschrieben standen, dass etwas nicht stimmte. Etwas war nicht so gelaufen, wie es hätte sein sollen.
Noch einmal streckte Gunnul die Hand aus, wie sie es vor so langer Zeit das erste Mal getan hatte und berührte den Namen von Morgan Andrews. Das ist nicht dein Name, mein Liebling, nicht wahr? Warum kann ich mich nicht erinnern? Dann glitten ihre Finger zu dem zweiten Namen weiter, der ihre eigenen Überreste benannte, wie sie wusste, Kristinia Thanasis. Als sie die Buchstaben berührte, konnte sie ihre Liebe spüren. Tränen traten ihr in die Augen. Liebe war eine Erfahrung, die sie nie gemacht hatte. Allah beschütze eure Seelen bis ich dieses Rätsel gelöst habe, bat sie, dann wandte sie sich um und verschloss ihr ganz eigenes Geheimnis wieder hinter der eisernen Pforte.
*****
Gunnul straffte ihre Schultern und ging durch den wundervollen Garten, der ihr Landhaus umgab. Sie beschäftigte ein Heer von Gärtnern, die dieses Paradies für sie und ihre Chrissy pflegten, doch war es niemandem gestattet, in ihren geheimen Garten einzutreten. Ihr Grab und das ihrer Liebsten blieben gut verborgen hinter der dicht bewachsenen Wand.
Die Diener traten respektvoll zur Seite, als sie vorüber ging, überließen die Kriegerin ihren Gedanken und achteten stets die Privatsphäre dieser mächtigen Frau.
Gunnul lief die Stufen zum Patio hinauf, der sich zum Felsen hin öffnete und den Blick auf das Mittelmeer freigab. Der Ausblick war atemberaubend, wie die See zu Füßen des Taurusberges schäumte. Heute schenkte Gunnul dem keine Beachtung.
Sie durchschritt die offenen Terrassentüren zu ihrem Büro und setzte sich hinter einen riesigen Schreibtisch aus Kirschholz und versank im weichen Leder ihres Bürosessels. Vor ihr auf dem Tisch war ein Bericht über die Erträge auf den Opiumfeldern. Sie schob ihn beiseite und starrte auf den Ordner darunter, der auf ihre Aufmerksamkeit zu lauern schien.
Auf dem Deckel stand ‚Jamie Dedeman'. Ärger kroch in Gunnul hoch. Es sollte ‚die Hure' darauf stehen, dachte sie grimmig. Sie öffnete den roten Lederordner, in den ihr Privatsekretär alle persönlichen Dinge legte, bevor er ihn auf ihren Schreibtisch packte. Es waren zwei Briefe darin. Der erste war eine Kopie ihres eigenen, den sie an diese Hure geschickt hatte. Er lautete:
Sehr geehrte Ms. Dedeman,
meine Tochter, Christine hat ihr Interesse bekundet, ihre leibliche Mutter kennen zu lernen. Ihr Vater (mein Bruder) Mohammed ist vor zwei Jahren an einer Herzattacke gestorben. Ich halte es für ratsam, ihrem Wunsch zu folgen und ihre Neugier über ihren Hintergrund zu befriedigen, damit sie den Tod ihres Vaters und die Flucht ihrer leiblichen Mutter verarbeiten kann. Aus diesem Grunde habe ich einen Besuch in der Türkei für Sie arrangiert.
Ich wünsche, Sie zuerst zu treffen und kennen zu lernen. Wenn ich glaube, dass ihr Denken und Handeln meine Tochter nicht unnötig verletzen werden, zusätzlich zu ihrem Schmerz, den sie bereits über den Tod ihres Vaters empfindet, dann werde ich einem Treffen zustimmen.
Im Anhang an diesen Brief finden Sie alle Arrangements sowie die Flugtickets für Ihre Reise.
Hochachtungsvoll
Gunnul Dedeman

Gunnul nickte zufrieden und nahm dann angewidert den zweiten Brief in die Hand, der heute eingetroffen war. Sie schlitzte den Umschlag auf und zog die Antwort heraus. Sie las:
Sehr geehrte Gunnul Dedeman,
ich bin nicht nur Chrissys leibliche Mutter, ich bin ihre Mutter! Und Sie sind es nicht! Seit zehn Jahren habe ich versucht, eine Spur von Moe und meiner Tochter zu finden. Sie haben verdammt Recht damit, dass meine Tochter mit mir Kontakt haben muss!
Ich sende Ihnen Ihre Tickets zurück. Ich will Ihr Geld nicht, ich weiß, wie Sie es verdient haben. Ich werde meine Reise selber bezahlen und ich werde den nächsten Flug nach Istanbul nehmen um meine Tochter zurück zu holen!
Hochachtungsvoll
Jamie Miller

Gunnuls Augenbrauen hoben sich konsterniert. In einem hatte ihr Bruder Recht gehabt, diese Frau war gewöhnlich, aber ehrgeizig. Ganz offensichtlich hatte sie vor, sich das Sorgerecht anzueignen, damit sie ihre Hände an Chrissys Erbe legen konnte. Gunnul schnaubte, das würde niemals, niemals passieren. Sie mochte nicht die leibliche Mutter von Chrissy sein, doch sie hatte sie aufgezogen seit sie ein Baby war und Chrissy war weit mehr ihre Tochter, als sie es jemals durch Blut hätte sein können. Sie würde eher diese Frau töten, als zuzulassen, dass diese ihr ihre Tochter fort nahm.
Sie lehnte sich zurück und schloss ihre Augen und spürte, wie das Blut in ihren Schläfen pochte. In Gedanken fühlte sie warme Hände, die sich auf ihre Schultern legten. Sie gehörten zu der blonden Frau aus ihren Träumen. Die geheime Geliebte ihrer Fantasie, die immer kam, um sie zu beruhigen. Sie lehnte sich weiter in die Lederlehne zurück und versuchte, einen Hauch des warmen Duftes nach Kräutern zu erhaschen, der ihre imaginäre Freundin stets begleitete. Diese Hure will mir Chrissy wegnehmen, erzählte sie stumm ihrem Tagtraum. Grüne Augen schauten sie voller Mitgefühl an. Keine Sorge, kam die Antwort aus dem tiefen Inneren ihrer Seele. Gunnul seufzte und riss sich selbst aus dieser Welt, von der sie wusste, dass sie nicht das Recht hatte, dort zu sein. Ihre Welt war hier und jetzt und furchtbar und real. Sie zog die Akte über die neuesten Opiumerträge zu sich heran und begann, zu lesen.
*********
Keine Sorge, die Botschaft kam aus dem Innersten ihrer Seele, Jamie seufzte und schaute aus dem Flugzeugfenster auf die Ägäische See unter ihr. Immer da, meine Kriegerin, dachte sie und wandte sich damit an ihre Seelengefährtin, die sie niemals getroffen hatte. Der dunkle Schatten, der immer bei ihr zu sein schien, hüllte sie ein und erleichterte ihren Schmerz. Als sie jünger gewesen war, hatte sie sich beinahe schuldig gefühlt, später war sie besorgt über die stetige Präsenz, die immer mehr zu einem Teil von ihr geworden war. Das war nicht normal und sie hatte schon an eine Therapie gedacht. Irgendwie hatte sie sich jedoch nie dazu aufraffen können. Die Wahrheit war, dass sie ihr geheimes Phantom liebte. Mit ihrem ganzen Herzen und ihrer ganzen Seele liebte. Das war es auch, was sie an Moe so anziehend gefunden hatte. Er sah ihr so ähnlich. Sie hatte sich eingeredet, er sei ihr Seelengefährte. Statt dessen hatte er sich als ihr schlimmster Alptraum erwiesen.
Sie hatte versucht, ihre Ehe zu retten. Hatte versucht ihrem emotional ungefestigten Mann zu helfen, auf eigenen Füßen zu stehen. Aber die einzige Stärke, die Moe zu besitzen schien, war seine Liebe zu Drogen und seine Besessenheit von Gewalt. Nachdem ihre Tochter geboren war und nicht der so sehr erhoffte Sohn, richtete sich seine Gewalttätigkeit immer öfter gegen sie selbst. Und dann war diese fatale Nacht, als er nach Hause gekommen war, wieder betrunken und vollkommen high, sie beinahe zu Tode geprügelt hatte und dann mit ihrem Kind verschwunden war.
Chrissy war damals kaum sechs Monate alt gewesen. Jetzt musste sie fast zehn Jahre alt sein. Würde sie sie erkennen? Sie hatten die gleichen waldgrünen Augen, doch Jamies Haar war rotblond, während Chrissys dunkel war, wie das ihres Vaters. Sie hatte auch seine Statur, hohe Wangenknochen und eine klassische Linie in den Zügen. Ja, sie würde ihre Tochter erkennen. Abgesehen von den blauen Augen, würde sie so aussehen wie die Seelengefährtin ihrer Träume.
Sie sah, wie die blaue See unter ihr in eine braune Landschaft überging. Bald schon würde sie ihrem größten Feind gegenüberstehen, Gunnul Dedeman. Sogar Moe hatte Angst vor ihr gehabt. Er sprach immer mit größter Nervosität von ihren unbarmherzigen Aktionen. Sie war eine Anomalie. Eine Frau, die in einer männlich dominierten Welt akzeptiert war. Wenn man Moe glauben schenkte, so verdiente sie ihren Lebensunterhalt durch den Verkauf illegaler Drogen und sie war es auch, die Moe verdrängt hatte, um selber die Kontrolle über das Familienimperium zu übernehmen. Er hatte gesagt, dass seine Schwester von außen eine Schönheit sei, doch verdorben bis ins Mark und dass sie Hunderte Menschen auf dem Gewissen hatte. Das war die Person, die ihre Tochter aufzog. Ein kalter, eisiger Klumpen formte sich in ihrer Brust, Keine Angst, Chrissy, deine Mammy wird dich nach Hause holen!
Jamie trat aus der Abfertigung in das Gewühl eines Tollhauses. Türken belagerten den Gepäckterminal und warteten darauf, dass das Flugzeug endlich entladen wurde. Jamie sah sich verwirrt um. Sie konnte ihr Gepäck nicht selbst bewältigen und sie wusste einfach nicht, wo und wie man nach einem Träger fragte. Ihre Hand krampfte sich nervös um den Aluminiumgriff ihrer Krücke, die sie benötigte, um mit ihrem schwer behinderten Bein gehen zu können. Vielleicht sollte sie einen der Passagiere um Hilfe bitten.
"Entschuldigung bitte. Sie sind Jamie Dedeman?" Jamie drehte sich um und sah einen Soldaten, der mit besorgtem Gesichtsausdruck zu ihr nieder blickte. Er trug eine schwarze Uniform mit vielen goldenen Streifen und ein rotes Barett. Der förmliche Auftritt manifestierte sich in einem Maschinengewehr, das lässig über seiner Schulter baumelte.
"Ja. Ja, das bin ich," erwiderte sie nervös.
"Ich bin Ohmir. Ich habe Befehl, Sie zur Residenz von General Dedeman zu bringen. Sie kommen, bitte."
"Warten Sie, mein Gepäck und wer ist General Dedeman?" fragte Jamie und blieb eigensinnig stehen, wo sie war.
Der Soldat sah überrascht aus. "Gunnul Dedeman, der Retter unseres Volkes. Sie hat viele Menschen getötet. Sie ist ein berühmter Krieger und ein Held. Ich zeige es Ihnen. Sie kommen jetzt."
"Was ist mit meinem Gepäck?" fragte Jamie erneut.
"Sie geben mir Gepäckschein. Ich sehe," erklärte der Soldat und streckte seine Hand aus. Jamie seufzte und griff in ihre Tasche nach dem Ticket, auf den ihr Gepäckschein geklebt worden war. Vorsichtig zog sie ihn ab und übergab ihn dem jungen Soldaten. Dann schob sie ihre Tickets wieder in die Tasche zurück. Es waren ein Rückflugticket für sie selbst und eines für Chrissy.
"Sie kommen," sagte der Soldat wieder und ging voran. Jamie folgte ihm, sich mit ihrer Krücke mühevoll den Weg durch die Menge bahnend.
Der Soldat übergab den Schein einem anderen, der bei ihrem Anblick in Habachtstellung gegangen war. In raschem Türkisch gab ihm der Soldat Instruktionen und Jamies Gepäckschein und dann führte Ohmir sie nach draußen zu einer Limousine, die mit Standarten geflaggt war. Er öffnete eine hintere Tür und Jamie glitt auf den Platz, ihre Krücke neben sich. Eine nette Machtdemonstration, Gunnul Dedeman, aber es wird nicht funktionieren, ich werde gegen dich antreten und meine Tochter zurück bekommen.
*********
Gunnul starrte aus dem Hotelfenster auf das geschäftige Treiben Istanbuls zwanzig Stockwerke unter ihr. In ihrer Erinnerung konnte sie noch immer die mokante Stimme ihres Bruders hören: "Du hältst dich für so gut, Gunnul! Die Heldin ihres Volkes! Aber ich habe etwas, was du nie haben wirst, einen Erben, Gunnul. Ich habe den Erben der Dedemans. Und ihre Mutter ist die schlimmste amerikanische Hure, die ich finden konnte. Ich habe sie sogar geheiratet, damit diese Schlampe für immer deine prächtige Familienlinie verunreinigt. Hier ist sie, Gunnul, die Erbin, die du verdienst und die in deine Nachfolge eintreten wird!"
Doch Mohammeds schreckliche Tat hatte seine Schwester nicht verletzen können. Gunnul spürte noch immer den Hauch von Liebe und Beschützerinstinkt, der sie durchfahren hatte, als das kleine Bündel in ihre Hände gelegt worden war. Sie wusste, dieses Kind war ihres und die Probleme mit dem Hintergrund des Mädchens kümmerten sie wenig, sie würde immer für sie da sein und um ihre Tochter kämpfen.
Sie hatte Chrissy rechtmäßig adoptiert. Sie von ihrem Bruder losgekauft, der ein weiteres Vermögen durchbrachte, bis ihn Drogen, Alkohol und sein ausschweifendes Leben schließlich umgebracht hatten. Sie hatte ihre Tochter von ihrem Bruder abgeschirmt so gut das möglich war. Genauso würde sie sie auch vor dieser Schlampe von Mutter beschützen. Chrissy war ein wundervolles, intelligentes und behütetes Kind. Bis auf ihre Augen sah sie aus wie Gunnul. Ihre Augen waren walddunkel, wie die ihrer imaginären Geliebten. Deswegen wusste Gunnul vom ersten Augenblick beim Kontakt mit dem Baby, dass sie zu einer Familie gehörten.
Hinter ihr schaltete sich das Interkom ein, "Gunnul, Ms. Dedeman ist hier." Die Stimme von Teefo, ihrem Sekretär.
"Danke, Teefo. Bitte schick sie herein." Lautete die kühle Antwort. Gunnul wandte sich um, ihr Gesicht zu einer steinernen Maske erstarrt, und wartete. Teefo öffnete die Tür und trat zur Seite. Herein stolperte eine Frau, gekleidet in ein zerknittertes Business- Kostüm von gutem und qualitativ hochwertigem Schnitt. Sie stützte sich schwer auf eine Krücke und schob ein behindertes Bein nach vorne. Als sie aufschaute, blieb Gunnuls Herz stehen, das dort war die Frau, die ihre Träume beherrschte, seit sie denken konnte.
*********
Jamie war müde und fühlte sich von ihrem langen Flug ausgelaugt. Ihr Kopf hämmerte fürchterlich, aber sie riss sich zusammen und folgte dem großen, ernst aussehenden Sekretär in das private Büro von Gunnul Dedeman, bereit, jegliche Herausforderung anzunehmen, um ihre Tochter zurück zu bekommen. Beim Aufblicken stockte ihr der Atem. Die blauen Augen ihres geheimen Beschützers schauten sie direkt an. Die dunkle Gestalt ihrer Träume war plötzlich real. Sie trat zwei wackelige Schritte nach vorn und hörte, wie der Sekretär die Tür hinter ihr schloss, dann drehte sich ihre Welt und Dunkelheit schloss sich über ihr.
Als sie wieder zu sich kam, wusste sie, dass sie war, wohin sie gehörte. Die dunkle Gestalt ihrer Beschützerin hielt sie umarmt und wischte ihr mit einem kühlen Tuch über das Gesicht. Ihr Kopf ruhte unter dem Kinn ihres Phantoms an einer breiten Schulter und ihr Arm war um die Hüfte der Gestalt geschlungen. Ihre Augen schlossen sich flatternd wieder, was immer in der realen Welt auf sie wartete, es konnte ein paar Minuten länger warten, während sie sich an ihrem Traumbild noch eine Weile festhielt, das der Anker ihres Lebens war.
*********
Gunnul sprang vorwärts und zog die kleine Frau in ihre Arme, bevor sie zu Boden fallen konnte. Plötzlich fand sie sich auf einer Sandbank tief im Dschungel, den vertrauten Körper der Geliebten im Arm. Sie schüttelte ihren Kopf, um ihn frei zu bekommen und trug die schlaffe Gestalt hinüber zu einem Sofa. Sie legte sie auf die Polster, ging dann zur Bar und schlug ein paar Eiswürfel in ein Tuch ein. Zurückgekehrt, schlüpfte sie hinter die kleine Person und zog sie an sich, sie spürte mit Freude, wie die Frau den Platz an ihrer Seite einnahm und einen Arm um sie schlang, wie sie es millionenmal in ihren Tagträumen erlebt hatte. Sie hielt die kalte Kompresse an Jamies Stirn und versuchte wenig erfolgreich mit der Tatsache ins Reine zu kommen, dass ihre schlimmste Feindin zugleich die Frau ihrer Träume war.
*********
Die Erkenntnis traf Jamie etwa eine halbe Minute später. Sie lag an Gunnul Dedeman gekuschelt, die Frau, die ihre Tochter gestohlen hatte. Sie setzte sich mit einem Ruck auf und rutschte von der großen, dunklen Frau fort. Entsetzt schaute sie sich nach ihrer Krücke um, damit sie aufstehen konnte.
Gunnul folgte dem verängstigten Blick, der den Raum durchsuchte, bis er endlich auf die Krücke fiel, die auf dem Boden an der Tür lag. Die Türkin stand auf, ging hinüber und hob sie auf und brachte sie dieser wunderschönen blonden Frau, die ihre Todfeindin sein sollte.
Sie hielt sie ihr hin und sagte: "Ich bin Gunnul Dedeman, weil Sie die leibliche Mutter meines Kindes sind, heiße ich Sie willkommen in meinem Land und meinem Haus." Sie drehte sich um, nahm eine Flasche vom Tisch und wandte sich wieder Jamie zu. Auf ihrem Weg kam sie am Schreibtisch vorbei und drückte auf einen Knopf. "Das ist Zitronenöl, es ist Tradition in meinem Land, dass wir einen Gast, der unser Haus aufsucht, damit begrüßen, um ihn von der Reise zu erfrischen. Halten Sie die Hände auf."
Jamie tat wie ihr geheißen, legte die Krücke neben sich ab und hielt ihre Hände auf. Die schöne, dunkelhaarige Frau goss ein wenig der Mischung aus Alkohol, Öl und Zitronen in ihre Handflächen und Jamie rieb sie aneinander und fuhr sich anschließend damit über das Gesicht. Das Zitronenöl fühlte sich kühl und erfrischend an. Ein sanftes Klopfen von der Tür, dann marschierte der Sekretär herein. Er stellte ein großes, silbernes Tablett auf den Kaffeetisch vor dem Sofa ab und verschwand wieder.
Gunnul setzte sich am entferntesten Ende der Couch nieder. "Es gehört auch zu unseren Gepflogenheiten, jeglichen Gästen die Höflichkeit zu erweisen und ihnen türkischen Kaffee und türkisches Gebäck zu reichen." Erklärte die Türkin und bot Jamie von den Süßigkeiten auf dem Tablett an.
Jamie zögerte einen Moment und nahm dann ein Geleestück, das mit Zuckerkristallen überzogen war. Wenn Gunnul sich so viel Mühe gab, dann würde sie das auch können. "Ich danke Ihnen. Ich finde ihre Traditionen sehr angenehm." Sagte sie förmlich und wurde mit einem verwirrten Lächeln der kräftigen Frau bedacht, die von einem kleinen Propangasofen aufschaute, mit dem sie beschäftigt war.
"Es tut mir leid, dass ich zusammengeklappt bin... ich... für gewöhnlich passiert mir das nicht. Sie haben mich überrascht. Sie sehen genauso aus wie Mohammed."
Gunnul rührte den dicken Kaffee um, der in einem langstieligen Gefäß auf dem kleinen Ofen brodelte. Sie fügte der Mischung Zucker hinzu. "Wir waren eineiige Zwillinge," erklärte Gunnul. Sie goss das Getränk in eine sehr kleine Tasse und reichte sie zusammen mit einer Untertasse an Jamie weiter. Dann goss sie sich selber ein und erklärte: "Die Krümel setzen sich am Boden ab. Auf dem Land kann man die alten Frauen bitten, im Kaffeesatz die Zukunft zu lesen. Wenn man seinen Kaffee ausgetrunken hat, dann stürzt man die Tasse auf die Untertasse. Die Hellseherinnen heben die Tasse dann an. Wenn viel vom Satz heruntergefallen ist, so glaubt man, ist die Vorhersage besonders akkurat."
Ich kenne meine Zukunft, dachte Jamie, ich werde meine Tochter nach Hause bringen. Laut jedoch sagte sie: "Danke für ihr Willkommen und ihre Erklärungen. Ich werde so viel wie ich kann über die türkische Kultur lernen müssen mit der meine Tochter aufgewachsen ist."
Gunnul lächelte. "Ich bin froh, dass Sie so empfinden. Aber ich habe bei Chrissys Erziehung auch auf ihre europäischen Wurzeln geachtet. Sie spricht fließend Englisch und ist viel durch Europa gereist. Ich glaube, es wird Ihnen nicht schwer fallen, mit ihr zu kommunizieren, wenn Sie beide sich treffen sollten." Erläuterte Gunnul.
"Ich werde meine Tochter treffen, Miss Dedeman. Sie können mich nicht aufhalten, Teil ihres Lebens zu sein." Sagte Jamie.
Gunnul setzte ihre Tasse ab und stand auf, sie schaute aus dem Fenster. "Ich habe sie seit zehn Jahren aufgehalten. Und ich hätte es weiter getan, wenn Chrissy dieses Treffen nicht verlangt hätte. Sie ist als Baby zu mir gekommen. Ich habe sie rechtmäßig von ihrem Vater adoptiert.
In diesem Land ist Chrissy mein Kind. Ich liebe sie. Ich möchte Sie nicht verletzen, aber ich werde auch nicht zulassen, dass meine Tochter verletzt wird. Sie ist in einer sehr privilegierten und noblen Welt aufgewachsen. Sie ist eine gute Muslimin. Sie versteht Ihre Art nicht."
"Meine Tochter ist Moslem?!" Rief Jamie überrascht aus.
"Natürlich. Obwohl die Türken ursprünglich von Mongolen und Griechen abstammen sind wir schiitische Moslems. Mein Bruder war es auch," erklärte Gunnul geduldig, auch wenn sie große Schwierigkeiten hatte, ihre kochenden Emotionen unter Kontrolle zu halten.
"Moe hat niemals auch nur irgend eine Religion praktiziert, außer seinem Drogenkonsum," schnappte Jamie bitter und wurde sich plötzlich wieder bewusst, dass dies hier seine Zwillingsschwester war. "Ah, tut mir leid, das war nicht so gemeint, ich bin sicher, Sie haben Ihren Bruder sehr geliebt." Entschuldigte sie sich hastig und rutschte an den Rand des Sofas.
Ein Blick auf Jamie. "Nein, eigentlich habe ich ihn gehasst. Ich habe versucht, ihm zu helfen, er gehörte zur Familie, aber Mohammed ist mit diesem fatalen schwachen Charakter geboren worden. Ich habe ihn nie respektiert. Ich habe versucht, Christine so weit als möglich von seinem Einfluss fern zu halten." Erwiderte Gunnul ernst.
"Danke sehr. Ich... ich habe all die Jahre mit der Angst gelebt, er könne ihr weh tun, sie verletzen. Er konnte sehr... gewalttätig sein," gab Jamie zu und wischte sich eine Träne fort, die von ihrem Auge zu fallen drohte.
"Nein. Er hat ihr nie etwas getan. Ich hätte ihn umgebracht, wenn er es versucht hätte. Chrissy, sie ist wundervoll, intelligent und sorgsam. Sie ist nicht wie ihr Vater." Sagte Gunnul, plötzlich tat es ihr leid für diese Frau, um den Schmerz und die Sorge, die diese offenbar empfand. Auch eine Hure hat das Recht, ihre Kinder zu lieben. Sie war nicht fair behandelt worden, erkannte Gunnul jetzt.
Jamie nickte, nicht sicher, ob sie erleichtert sein sollte, dass diese bemerkenswerte Frau ihr Kind beschützt hatte oder entsetzt, mit welcher Leichtigkeit eben diese Frau darüber sprach, ihren eigenen Bruder zu töten. Was war überhaupt mit Moe passiert? Die Dinge entwickelten sich ganz und gar nicht so, wie sie angenommen hatte.
Sie war völlig perplex über die Tatsache, dass Gunnul physisch die Person war, die ihr Unterbewusstsein schon ihr ganzes Leben lang beherrschte. Und sie war ebenso überrascht herauszufinden, dass Gunnul sich sehr um Chrissy sorgte und sie ganz offensichtlich fair und offen erzogen hatte. Und dann war da noch der Fakt, dass ihre Tochter Moslem war. Obwohl Gunnul versichert hatte, dass sich ein gemeinsamer Konsens finden lassen würde, begann Jamie erst jetzt zu realisieren, dass sie nicht einfach in das Leben eines zehnjährigen, fremden Kindes spazieren und sagen konnte: ich bin deine Mutter, komm mit nach Hause.
"Ich werde Ihnen Ihr Zimmer zeigen. Sie müssen müde sein. Es ist ein sehr langer Flug. Morgen werden wir unsere Tour beginnen. Ein paar Tage lang werde ich Ihnen die Türkei zeigen." Eröffnete ihr Gunnul, während sie sich vom Fenster abwandte und auf Jamie wartete, die darum kämpfte, auf die Füße zu kommen und ihre Krücke unter den Arm zu nehmen.
"Sie meinen, ich werde ein paar Tage unter Beobachtung gestellt und dann werden Sie entscheiden, ob ich Zugang zu meiner Tochter haben darf oder nicht." Forderte Jamie sie heraus, die Stimme ärgerlich erhoben.
"Ja, das meine ich," kam die kühle Antwort der Frau, die sich vor ihr aufbaute. "Würden Sie in meiner Situation nicht das Gleiche tun? Doch außerdem wird es gut für Sie sein, etwas über unser Volk zu wissen, bevor Sie meine Tochter kennen lernen." Fuhr Gunnul fort. Als sie ein Hauch des Duftes nach sonnengetrockneten Kräutern und süßem Gras traf, der so sehr aus ihren Träumen zu stammen schien, fügte sie hinzu: "Unsere Tochter."
Jamie, die bereit für einen Angriff war, schluckte ihre Erwiderung hinunter und schaute in die eisig blauen Augen der Frau, die ihre Tochter aufzog. Für einen langen Augenblick sprach keine der beiden. Zwischen ihnen schien pure Energie zu fließen. Langsam hob sich Jamies Hand und griff nach der Hand der Frau, die auf sie nieder schaute. Sie nickte.
"Unsere Tochter." Stimmte sie zu und die große Frau lächelte, hob Jamies Hand und küsste ihre Fingerspitzen. Ein Blitz aus Leidenschaft schoss durch Jamies zarte Gestalt. Sie sah in die Augen, die jetzt vor innerer Energie zu glühen schienen, die kaum menschlich zu nennen war. Sei vorsichtig, Jamie! Diese Frau ist sehr gefährlich, warnte sie ihr Verstand, doch ihr Herz verursachte ein leicht einfältiges Grinsen, dass von ihrem Gegenüber erwidert wurde.
"Kommen Sie, ich werde Ihnen Ihren Raum zeigen." Sie gingen durch das Vorzimmer, in dem ihr Assistent arbeitete. Er erhob sich bei ihrem Eintreten. Gunnul führte sie durch die Halle und öffnete die Tür zu einer Suite. Jamies Gepäck wartete darin. Jamie trat ein und zu ihrer Überraschung folgte Gunnul. "Würden Sie mit mir essen, heute Abend?" fragte die Frau förmlich, als würde sie eine Verabredung treffen.
"Ja." Erwiderte Jamie ohne nachzudenken. "Sehr gerne."
Die große Türkin entspannte sich sichtlich und lächelte. "Ich werde Sie gegen 20.00 Uhr anrufen. Sie sind müde und es wird ein ungezwungenes Abendessen sein." Sagte sie und verschwand.
Jamie sank in den nächsten Sessel. Heilige Götter! Was ging hier vor sich! Ihre Gefühle befanden sich auf einer Achterbahn. Ein Teil von ihr hasste diese Frau, die ihr ihre Tochter genommen hatte, ein Teil war dankbar für die Liebe und Fürsorge, die Chrissy zugute gekommen waren, ein anderer Teil ärgerte sich über diese Probe, auf der Gunnul bestand, bevor sie ihr gestattete, ihre eigene Tochter zu sehen und ein weiterer Teil schließlich wollte auf der Stelle zurück in die Arme dieser Frau, die alle ihre Fantasien wahr machte. "Oh, Gott," flüsterte sie, "was soll ich jetzt nur tun?"
Gunnul fühlte sich wie betäubt. Der Schock, diese Frau, die Obsession ihres Lebens, zu treffen, war wie ein physischer Schlag gewesen. Dass ausgerechnet diese Frau Chrissys Mutter sein sollte, stellte eine unglaubliche Komplikation in Gunnuls Leben dar. Schlimmer jedoch war, dass sie diese Frau mit einem Hunger wollte, dessen Kontrolle ihre ganze Selbstdisziplin erforderte. Wie konnte sie sich in eine Hure verlieben? Sie barg ihr Gesicht in ihren Händen. Wie konnte sie es nicht?
*********
Um 20.00 Uhr klopfte Gunnul an Jamies Tür. Sie trug Bluejeans und einen gestrickten Sweater, den sie in Schottland gekauft hatte. Sie hatte ihr Haar zu einem Pferdeschwanz aufgebunden und hoffte, dass sie ein wenig amerikanisch wirkte. Jamie öffnete die Tür und ihre Augen weiteten sich vor Überraschung über die sichtbare Wandlung vom smarten Geschäftsoutfit zu ungezwungener Eleganz. Bluejeans von Ralf Lauren und ein handgestrickter schottischer Sweater, bemerkte Jamie und fühlte sich ein wenig eingeschüchtert in ihren Levi's und dem dunkelgrünen T-Shirt, das sie in einer Mall zu Hause erstanden hatte. Aus der Tasche lugte ein Winnieh-Pooh hervor. "Sie kommen." Sagte Gunnul und vergaß ihre englische Grammatik völlig, als sie die Linien von Jamies zartem Körper in sich aufnahm.
"OK." Stimmte Jamie zu und schloss sich ihrer größeren Begleiterin an. Nebeneinander spazierten sie durch die Hotelhalle und nahmen den Aufzug für die kurze Fahrt auf die Dachterrasse. Ganz Istanbul und die Bosporus See lagen zu ihren Füßen. Die Aussicht war hinreißend! Zu Jamies Überraschung und Amüsement servierten diskrete Diener schweigend ein Essen aus Hamburgern und Pommes Frites.
"Wie oft haben Sie hier oben denn schon Hamburger gegessen?" fragte Jamie und wischte sich mit der Seidenserviette über den Mund.
Gunnuls Hamburger blieb auf halbem Wege zu ihrem Mund stehen und wanderte dann wieder auf den Teller zurück. "Nie. Ist das Essen nicht richtig? Woher wissen Sie?" fragte ihre Gastgeberin entsetzt.
Jamie lachte. "Das Essen ist exzellent. Sie sehen nur nicht wie ein Hamburgertyp aus. Das ist sehr süß, Gunnul. Ich... ich meine, wenn ich Sie so nennen darf?"
Gunnul errötete und schaute tief in die grünen Augen. "Was, Gunnul, oder dass ich süß bin?" Erwiderte sie scherzhaft.
Jamie lachte wieder. Gunnul entschloss sich, diese Art, wie Jamie lachte, zu mögen. "Ist es OK, wenn ich Sie beim Vornamen nenne?" fragte Jamie noch einmal.
"Ja, wenn ich Sie Jamie nennen darf." Kam die Antwort.
"OK. Süß," scherzte Jamie und Gunnul lachte. Sie beendeten ihre Burger, während Gunnul von Chrissys Ausbildung erzählte und wie gut sie in der Schule war. Jamie war beeindruckt von Chrissys augenscheinlichen Fähigkeiten, von der feinen Erziehung, die ihr zuteil wurde und wie ernst Gunnul das Ganze nahm. Sie entdeckte, dass sie sich sehr schnell für diese Frau erwärmte und es fiel ihr immer schwerer, daran zu denken, dass diese ihre Vermögen durch den Verkauf von Drogen verdient hatte.
"Unten in meinem Schlafzimmer habe ich Bilder von Chrissy. Möchten Sie sie sehen?" fragte Gunnul, nun ganz entspannt und zufrieden damit, wie gut der Abend bisher verlaufen war. Sie hatten sogar eine Flasche Wein getrunken, etwas, was sie selten machte, weil der Genuss von Alkohol gegen ihre Religion war. Es machte sie leichtherzig und leichtsinnig.
"Bitte, ja." Antwortete Jamie und stand aus dem bequemen Stuhl auf, in dem sie entspannt zurückgelehnt gesessen hatte.
Gunnul erhob sich ebenfalls, der Raum schwankte ein wenig. Sie lächelte und nahm Jamies Hand. "Hier entlang." Sagte sie und führte die kleine Frau vorsichtig hinunter zu ihrem Schlafzimmer, ein Geschoss tiefer. Neben ihrem Bett standen zwei Bilder von Chrissy, eines zeigte sie auf ihrem Pferd und das andere in ihrer Schüleruniform. Jamie spürte, dass ihre Knie nachgaben und sie sank auf Gunnuls Bett. Sie hielt die Bilder in der Hand und Tränen liefen über ihr Gesicht. Ihre Tochter war eine schöne Unbekannte, die sie glücklich aus einer Welt heraus anlächelte, die für Jamie völlig fremd war.
Plötzlich war ihr dunkler Beschützer an ihrer Seite. Die Bilder wurden ihr aus den zitternden Fingern genommen und zurück auf den Nachttisch gestellt, dann schlossen sich warme Arme fest um sie und Jamie schlang ihren Arm um ihr Phantom und weinte sich die Augen aus.
Gunnul hielt Jamie fest und strich ihr über das Haar. Sie beugte sich vor und atmete tief den Duft der goldenen Locken ein. Sie rochen nach frischer Luft und dem einzigartigen Aroma der Kräuter ihrer Traumgefährtin. Ihr Kopf neigte sich, ihre Wange lehnte an Jamies und die erschütterte Frau erwiderte ihre Umarmung, indem sie ihre Arme fest um Gunnuls Nacken schlang. Gunnul schluckte. Sie hatte wirklich nicht viel Erfahrung in diesen Dingen. In ihrer Welt waren Verabredungen mit Jungen nicht gern gesehen. Mit einer Frau zusammen zu sein, war etwas, das bekannt war, worüber aber erst recht nicht gesprochen wurde.
Sie ließ ihre Lippen über das weiche Haar wandern in das sie jetzt ihr Gesicht vergraben hatte, ihre Hände strichen sanft über Jamies Rücken. Das Gefühl von Jamies warmer Haut unter ihrem Hemd schickte einen heißen Schauer von Gefühlen bis in Gunnuls tiefstes Inneres. Leichtsinnig vom Wein vergaß sie ihren Zwang zur Selbstkontrolle und zog die kleine Frau auf ihr Bett nieder, rollte sich über sie und küsste sie voller Leidenschaft auf die Lippen, wie sie es in amerikanischen Filmen gesehen hatte.
Zuerst war Jamie viel zu schockiert um überhaupt zu reagieren. Dann riss sie sich los und schlug Gunnul mit der Faust gegen die Schläfe. "Lassen Sie mich gehen, verdammt!" schrie sie und Gunnul ließ augenblicklich von ihr ab und stürmte quer durch das Zimmer bis zur gegenüberliegenden Wand. "Was zu Hölle haben Sie sich denn dabei gedacht?!"
"Ich wollte Liebe mit dir machen." Sagte die bestürzte Frau. "Habe ich nicht richtig gemacht?" fragte sie.
Jamie kämpfte sich mit Mühe auf die Füße und richtete ihre Krücke. "Was lässt dich glauben, dass der Trick bei mir funktioniert?!" forderte die wütende Amerikanerin.
Gunnul war noch mehr durcheinander und ihr Kopf begann zu schmerzen. "Was für Tricks? Du bist eine Hure und ich wollte deine Dienste in Anspruch nehmen." Gunnul versuchte es zu erklären, allmählich wurde auch sie über Jamies Reaktion wütend.
"Hure! Wen nennst du hier eine Hure, du verdammte, geile Heidin!" schrie Jamie und hinkte zur Tür, sie verschwand und schlug die Tür laut hinter sich zu.
Gunnul starrte verwundert auf die Tür. In ihrem ganzen Leben seit sie ein Kind war, hatte niemand so mit ihr geredet. Niemand würde es wagen. Mit versteinerter Mine durchmaß sie den Raum und die Halle in Richtung Jamies Suite. Die Halle drehte sich und Gunnul war gerade noch in der Lage, sich an eine Wand zu lehnen, damit sie stehen blieb. Sie drehte sich wieder um. Ich bin betrunken, realisierte sie verwundert.
Jamie stopfte ihre Sachen in den Koffer, wütend und verängstigt von Gunnuls Avancen. Das wird mir eine Lehre sein, immer nur das Gute in den Menschen zu sehen. Alles, was Mohammed mir über diese Frau erzählt hat, ist wahr. Sie war wunderschön, aber unter dieser gut zur Schau gestellten Oberfläche brodelte ein wirklich verdorbenes Leben. Jamies Hände zitterten so stark, dass sie das Schloss nicht schließen konnte. Sie holte tief Atem, setzte sich auf das Bett und versuchte damit fertig zu werden, was gerade passiert war. Sie hatte Gunnul irgendwie gewähren lassen. Es hatte sich einfach zu gut angefühlt in ihren Armen. Ihr ganzes Leben lang hatte es diese Barriere gegeben zwischen ihr und dieser Präsenz, die so sehr Teil ihres privatesten Lebens war. Gunnul hatte diese Barriere durchbrochen. Gunnul war auf so vielfältige Weise wie ihre geheime Kriegerin.
Als Gunnul sie in die Arme genommen hatte, war sie nahe herangerückt und hatte ihre Arme um die Frau geschlungen. Sie hatte dieses Gefühl von Lippen auf ihrem Haar und die Zartheit der Wange an ihrer genossen. Sie hatte es zugelassen und ermutigend aufgeseufzt, als Gunnul über ihren Rücken gestrichen hatte. Sie hatte Gunnul irgendwie durch ihre Körpersprache zu verstehen gegeben, dass sie bereit war. Vielleicht machte sie das in Gunnuls Kultur zur Hure. Gott verdammt, alles was ich will, ist meine Tochter zurück und nun wird einfach alles immer komplizierter! Chrissy war eine Fremde für sie. Gunnul war eine Fremde, die sich anfühlte wie eine Geliebte. Mist!
Jamie griff nach ihrer Krücke und humpelte zur Tür. Sie musste mit Gunnul reden und einen Weg finden, ihre Tochter zurück zu bekommen. Sie öffnete die Tür und sah, dass ein Soldat davor stand.
"Entschuldigung," murmelte Jamie und versuchte, an ihm vorbei zu schlüpfen. Der Soldat wandte sich um und schaute sie an.
"Nein. Sie bleiben in Ihrem Zimmer! Order von General Dedeman." Sagte der Soldat.
"Was!? Stehe ich jetzt unter Hausarrest?!" fragte Jamie und ihre Frustration wuchs, noch einmal versuchte sie, an der Wache vorbei zu kommen.
Die Wache benutzte eine Pistole um Jamie sanft, aber bestimmt in ihr Zimmer zurück zu scheuchen. "Sie müssen bleiben." Sagte er streng und schloss die Tür.
Ein paar Sekunden stand Jamie schockiert mitten im Zimmer, dann kroch die Angst langsam in ihrem Herzen hoch. In welchen Schwierigkeiten steckte sie jetzt schon wieder? Sie hatte "Midnight Express" gesehen und hatte es nicht besonders ernst genommen. Es war nur ein Film hatte sie ihren Freunden gesagt, das Land kann nicht wirklich so sein. Doch jetzt stand sie unter Bewachung, weil sie die Avancen eines sehr mächtigen, bösen Individuums zurück gewiesen hatte. Sie hinkte zu einem Sessel und setzte sich, Tränen der Angst und Frustration liefen über ihre Wangen. Oh Chrissy Liebling, deine Mom hat wirklich Mist gebaut.
*********
Gunnul beobachtete den Sonnenaufgang im Osten, während sie auf ihrem Gebetsteppich kniete. Ihre Hände strichen über die Gebetsbänder an seinem Rand und sie wiederholte ihre Shahada: Es gibt nur einen Gott und Mohammed ist sein Prophet. Gott ist groß. Gott ist gnädig. Sie hatte die ganze Nacht gebetet in der Hoffnung, Ruhe in ihrem noch immer aufgewühlten Herzen zu finden. Einmal mehr nahm sie ihren Koran auf und las die Worte der Lobpreisung des Mohammed:
Im Namen Gottes, des Allmächtigen und Gnädigen
Die Lobpreisung gebührt Gott, dem Herrn aller Wesen,
dem Gütigen, dem alles- Vergebenden,
dem Herrn des Jüngsten Tages.
Dir allein dienen wir, zu Dir allein beten wir um Erlösung.
Führe uns auf unserem Pfad,
den Pfad derjenigen, die Du gesegnet hast,
nicht derer gegen die Du deinen Zorn richtest,
noch derer, die fern von Dir sind (Koran 1:1-7)
Dreimal verneigte sie sich nach Osten, nach Mecca, dem Zentrum des Islamischen Reiches, dann erhob sie sich und machte sich auf den Weg zurück in ihre Zimmer. Sie überlegte, ob sie wieder ihre europäische Kleidung anziehen sollte, entschied sich dann aber dagegen, sie fand in ihrer traditionellen Robe Sicherheit und Geborgenheit. Sie bewegte sich leise durch die Halle und mit einem Wink ihrer Hand entließ sie die Wache, die vor Jamies Tür stand. Sie klopfte leicht an. "Herein." Kam die rasche Antwort.
Gunnul öffnete die Tür und trat ein. Jamie stand am Fenster, das Morgenlicht tanzte auf ihrem goldenen Haar. Gunnul festigte ihren Entschluss. "Ich möchte mit dir reden, wenn ich darf." Sagte sie leise.
Jamie wischte sich nervös den Schlaf und die Tränen aus den Augen. "Ja," erwiderte sie so sachlich, wie sie in der Lage war und ihre Augen weiteten sich überrascht.
"Ich habe gestern Abend getrunken, obwohl ich weiß, dass das eine Sünde ist. Die Konsequenz davon war, dass ich mich in unziemlicher Art und Weise betragen habe und Schande über mich und mein Volk gebracht habe. Ich habe um Vergebung und Stärke gebetet und ich komme jetzt, um mich bei dir zu entschuldigen." Sagte Gunnul.
Jamie schaute auf die Fremde, die vor ihr stand. In ihrer Robe, das Gesicht von einem dünnen Schleier von der Nase an abwärts bedeckt. Das einzige, was noch an diese Europäerin von gestern Abend erinnerte, waren ihre erstaunlich blauen Augen. "Ist meine Tochter auch so gekleidet?" fragte sie.
"Freitags. Am heiligen Tag. Ja." Erwiderte Gunnul verwirrt über Jamies Reaktion.
Jamie nickte. "Ein Teil dessen, was passiert ist, ist meine Schuld. Meine Kultur ist so verschieden von deiner. Vielleicht habe ich die falschen Signale ausgesendet. Ich wusste nicht, dass du nicht trinkst." Einen Moment Zögern, "Bin ich eine Gefangene?" fragte Jamie dann ernst.
Gunnuls Augen weiteten sich. "Nein, natürlich nicht! Ich wollte einfach nicht, dass du abreist, bis ich die Zeit hatte, zu einem Entschluss zu kommen. Ich weiß nicht, was du wünschst. Du hast mein Wort, dass ich meinen Fehler nicht wiederholen werde. Ich wünsche, dass wir mit unserem Programm fortfahren, dass ich dir unterbreitet habe."
Jamie starrte in die seltsamen Augen, die von der eisigen Helle zum Blau des Himmels geschmolzen waren. "OK. Du bist der Weg zu meiner Tochter, also habe ich keine große Wahl. Aber ich muss dich warnen, ich habe einmal den Fehler gemacht, deinem Bruder seine Gewalttätigkeit zu verzeihen. Im Ergebnis hat er mich halb zu Tode geprügelt und mich mit einem zerschmetterten Bein zurück gelassen. Ich werde mich von niemandem wieder in eine solche Situation bringen lassen. Hast du das verstanden?"
Die Augen wurden weit vor Horror. "Du erzählst mir allen Ernstes, dass mein Bruder dir das angetan hat?!" Fragte die größere Frau ungläubig.
"Ja und ich werde mich niemals wieder zum Opfer machen lassen. Oder meine Tochter." Grollte Jamie.
Verletzung schoss durch die blauen Augen. "Ich würde Chrissy niemals verletzen." Kam die zornige Erwiderung.
"Das möchte ich dir auch geraten haben!" Die Herausforderung.
Die Türkin drehte sich um und ging, Jamie blieb zitternd und verwirrt zurück, was würde als nächstes passieren?
*********
Kurze Zeit später kam Teefo an Jamies Tür. "Bitte, die Kriegerin, sie hat mich gebeten, Ihnen zu bestellen, dass Sie sie heute auf der Tour durch Istanbul begleiten. Sie wünscht zu wissen, ob Sie mit ihr alleine gehen werden oder ob Sie eine Eskorte wünschen."
Jamie schüttelte ungläubig ihren Kopf. Gunnul schwankte in ihrem Sein als mächtiges, kaltes Rätsel und dem unsicheren, warmen, fürsorglichen Menschen dahinter, beständig hin und her. Sie war die ihr vertrauteste und doch komplexeste Person, die sie jemals kennen gelernt hatte. "Bitte bestellen Sie Gunnul, dass ich gerne die Tour durch Istanbul mit ihr als meine Führerin machen möchte und dass ich keine Veranlassung habe, noch jemanden hinzu zu ziehen."
Teefo nickte und verschwand. Innerhalb weniger Minuten war Gunnul an der Tür, wieder in europäischer Kleidung. Heute trug sie Bluejeans und ein Hemd aus naturbelassener Baumwolle. Sie sah unaufdringlich und schön aus und Jamie fragte sich, wie es wohl gewesen wäre, hätte sie Gunnul erlaubt, mit ihr zu schlafen. So schnell, wie er gekommen war, schob sie den Gedanken so weit von sich, wie sie konnte. Alles was zählte, war Gunnul zu überzeugen, dass diese ihr ohne Bedenken Zugang zu Chrissy gewähren konnte.
"Bist du bereit, Jamie?" fragte Gunnul.
Jamie nickte und umfasste den Griff ihrer Stütze fester. "Lass uns gehen."
Ein Mercedes Coupe in Britisch- rennrasen- grün stand wartend in der Auffahrt und der Empfangschef hielt die Tür für sie geöffnet. Die nun sehr europäisch wirkende Gunnul setzte ihre Sonnenbrille auf und fuhr hinaus auf die geschäftigen Straßen Istanbuls, in kurzer Zeit erreichten sie einen Parkplatz in der Nähe der Zitadelle.
"Dies sind unsere beiden größten Moscheen. Die Blaue Moschee siehst du hier und dahinter befindet sich die Hagia Sophia. Die meisten Türken sind schiitische Moslems und keine Sunniten. Die Schiiten im Mittleren Osten sind vor allem Fundamentalisten. Schiiten glauben, dass die Nachfahren von Mohammed die wahren Imams sind. Die Sunniten hingegen sind der Überzeugung, dass die Nachfolger des Propheten durch seine Gläubigen ausgewählt werden müssen und nicht in direkter Nachkommenschaft zu ihm stehen müssen. Es ist nur ein kleiner Unterschied, dem viele Opfer gebracht wurden. Aber nicht hier in der Türkei. wir sind Moslems, aber ich fürchte, dass wir nicht immer gute Moslems sind." erklärte Gunnul mit einem Lächeln. "Wir sind für Moslems sehr liberal in unseren Ansichten. Komm mit."
Jamie folgte Gunnul durch die Menge der Pilgerer und Touristen zum Eingang der Blauen Moschee. Hier zog sie zwei Kopftücher aus ihrer Tasche und band eines davon um Jamies Kopf, das andere legte sie selber um. Sie zogen ihre Schuhe aus und betraten die Blaue Moschee. Hoch über ihnen wölbte sich eine Kuppel von betörendem Blau. Geometrische Muster von unglaublicher Komplexität schmückten die Wände und Gewölbe. Gedämpftes Licht fiel durch die Glasfenster auf die königsblauen Gebetsteppiche auf dem Boden. Es gab keine Worte, die Größe und Schönheit des Gebäudes zu beschreiben. Jamie stand mit offenem Mund und schaute in die Höhe, während Gunnul geduldig auf sie wartete.
"Gunnul, es ist so wunderschön!" flüsterte Jamie. "Kommst du auch hierher zum Beten?"
"Es ist ein außergewöhnliches Beispiel für die Byzantinische Kunst. Und nein, wir kommen nicht hierher. Obwohl es immer noch als Moschee genutzt wird, ist es durch den Tourismus ein zu öffentlicher Platz für mich, um zu beten. Komm jetzt, du hast die Hagia Sophia noch nicht gesehen."
Sie zogen ihre Schuhe wieder an und spazierten über den Hof zu einem der berühmtesten Gebäude in der Welt. "Die Blaue Moschee hat sechs Minarette, einige meinen, das sei so, weil ihr Erbauer sechs Söhne hatte, aber Hagia Sophia hat nur vier und das ist die angemessenere Zahl. Sie war zunächst als Kirche von Jusitinian gebaut worden, dem Mann, der das Byzantinische Reich errichtet hat, sie wurde erst später zur Moschee. Tausend Jahre lang war sie das größte Gotteshaus der Welt."
Wieder zogen sie ihre Schuhe aus und traten ein. Wenn die Blaue Moschee beeindruckend gewesen war, so war Hagia Sophia beinahe mystisch zu nennen. Die Kuppel schien doppelt so hoch zu sein und nur durch Vertrauen auf den zarten Wänden gehalten zu werden. Gunnul zeigte Jamie die goldenen Mosaiken von Justinian und seiner berühmten Frau Theodora. "Justinian, so sagt man, war sehr geduldig und sanftmütig, egal ob er einen Botschafter begrüßte oder die Blendung von 20.000 seiner Feinde anordnete. Er war der Begründer des Byzantinischen Reiches. Es war diese Macht, die das Heilige Römische Reich in den Jahren der Dunkelheit über Europa zusammenhielt und mit ihm das alte Wissen von Griechenland und Rom bewahrte. Die Europäer wären heute nicht, was sie sind, hätte es diesen sanften Mann mit dem eisernen Willen nicht gegeben. Er war zwanzig Jahre glücklich verheiratet und nach Theodoras Tod hat er, solange er lebte, täglich ihr Grab besucht." erzählte Gunnul weiter.
"Es ist eine rührende Liebesgeschichte, aufgebaut auf dem Blut der Unterlegenen. Die Menschen rebellierten gegen die hohen Steuern, die für den Bau eines solchen Gebäudes erhoben werden mussten und Jusitinian wurde geraten, er solle fliehen, doch Theodora hat dies nicht zugelassen. Sie sagte ihm, das es besser sei aufrecht und im purpurnen Fürstenmantel zu sterben, als ein armes Leben in Feigheit zu führen. Sie sind geblieben und haben gesiegt." Beendete die Türkin die Geschichte.
Jamie schaute ihre stolze Führerin an. "Ich glaube, du magst Justinian sehr." Gab sie ihre Beobachtung preis.
"Ich glaube, dass man tief lieben und trotzdem so gewalttätig sein kann."
Gunnul schaute zu Jamie nieder und erforschte die grünen Tiefen ihrer Augen. "Ich habe niemals geliebt, doch ich habe schon viele getötet." Gab sie zu und wandte sich um, um Jamie zum Ausgang zu führen. Jamie folgte ihr, ein kalter Schauder verursachte ihr eine Gänsehaut.
Draußen kniete Gunnul vor Jamie nieder und half ihr in die Schuhe. Dann nahmen sie die Kopftücher ab und verstauten sie in der Tasche. "Hagia Sophia nannte man auch das Auge der Welt," kommentierte Gunnul, während sie sie den Weg zum Wagen zurück führte. Jamie dachte, dass es das noch immer sein könnte.
Der Tag war vollgestopft mit den erstaunlichsten Erfahrungen und voller Bilder wie ein Kaleidoskop. Sie spazierten durch die geschäftigen Straßen der Stadt bis zum Hippodrom, wo die Römer ihre Wagenrennen veranstaltet hatten. Ein ägyptischer Obelisk auf einer byzantinischen Basis markierte noch immer den Wendepunkt für die Wagen. Gunnul führte Jamie zum Topkapi Palast und zeigte ihr die Kronjuwelen, die die Britischen Schätze daneben verblassen ließen. Jamie sah einen Diamanten, der mindestens 84 Karat wog, umringt von einer weiteren Reihe Diamanten und in einer goldenen Fassung; ein silbernes Serviertablett quoll über von Smaragden; es gab juwelenbesetzte und vergoldete Möbel, Waffen, Eierbecher aus goldener Filigranarbeit, diamantenbesetzt und Geschirre aus feinstem chinesischen Porzellan. Sie durchwanderten Raum um Raum voller unglaublicher Reichtümer, die weit über das Vorstellungsvermögen der meisten Menschen hinausgingen.
In der Nähe des Großen Basar aßen sie zu Mittag, es gab diesen zentralen Markt, seit die legendäre Seidenstraße einst hier endete. Ein mehrschiffiges, großes Gebäude, mit einer Haupthalle und Nebenhallen an den Seiten. Jeder Bereich gehörte einer bestimmten Zunft. Die Haupthalle war den Goldschmieden vorbehalten und über zwei Straßenblöcke hinweg strahlten die Schaufenster in goldenem Glanz. Es gab Hallen für Lederwaren, Teppiche, Gewürze, Kupferwaren und tausend andere Waren.
Jamie hätte gerne gehandelt und etwas erworben, aber ihre Ersparnisse hatten kaum gereicht, um die Flugtickets zu bezahlen.
Gunnul nahm Jamie mit zu einem Teppichweber. Hier konnte sie sehen, wie die Seidenteppiche hergestellt wurden und ihre Schönheit machte sie atemlos. Sie hätte so gerne einen eigenen Teppich erworben, doch die Preise wurden in Tausenden von Dollars angegeben. Als sie durch den Gewürzmarkt gingen, fühlte Jamie sich völlig überwältigt von den Bergen exotischer Gewürze und Kräuter, die von den Händlern aus aller Welt feilgeboten wurden.
Das Abendessen gab es in einem der Straßencafés am Ufer der Bosporus See und dann nahmen sie ein Boot und fuhren damit am Ufer entlang zu den großen Stätten der Osmanen, ihren Wohnhäusern, Palästen und Festungen. Der Wohlstand in den Häusern und das reiche Erbe der Stadt waren wirklich erstaunlich. Istanbul, das legendäre Konstantinopel, der Name klang wie ein scharfer Ton, erfüllt von der Romantik und dem Abenteuer der Händler, Krieger und Eroberer von Tausenden von Jahren. Jamie nahm an, dass die Stadt von diesem Erbe ewig würde zehren können!
Gunnul lehnte in respektvoller Entfernung neben Jamie an der Reling. Den ganzen Tag war sie höflich und förmlich gewesen, eine perfekte Führerin und Gastgeberin und genau das versetzte Jamie in Unruhe. Die Nachtluft war kühl nach der Hitze des Tages. "Gunnul," flüsterte Jamie.
"Hmm." erwiderte die Kriegerin, stand auf und schaute Jamie fragend an.
"Warum wolltest du mich küssen?" fragte Jamie weiter.
Gunnul wandte sich ab und schaute auf das dunkler werdende Wasser. "Ich fühle mich zu dir hingezogen, Jamie. Es ist schwer zu erklären."
"Willst du mich noch immer küssen?" Jamies Hand glitt leicht über das Geländer, während sie näher kam.
Gunnul schluckte und starrte weiter auf das Wasser. "Ja."
"Jetzt wäre eine gute Gelegenheit." flüsterte Jamie und schaute scheu auf ihre Hand, die sich über Gunnuls schob.
Gunnul drehte sich überrascht um und sah die kleine Frau verwirrt an. "Du wünschst, dass ich jetzt Liebe mache?" fragte sie.
Jamie lachte. "Nein. Ich weiß nicht, was ich möchte, aber ich hätte gerne, dass du mich festhältst und mich küsst."
Gunnul trat näher heran und legte ihre starken, langen Arme um Jamies Schultern. "Ich nicht sehr viel darüber weiß." Sagte sie und ihr Englisch entglitt ihr vor lauter Nervosität.
Jamie glitt in Gunnuls Arme und fing die Lippen der Türkin ein. "Entspann dich, ich werde es dir zeigen." Hauchte sie an Gunnuls Mund und knabberte behutsam an ihrer Unterlippe. Als Gunnul einen sanften Seufzer ausstieß nutzte Jamie die Gelegenheit und ließ ihre Zunge in Gunnuls Mund schlüpfen. Die größere Frau erstarrte vor Überraschung und zog Jamie dann fest in ihre Arme. Ihre Zungen spielten miteinander. Jamie zog sich zurück und Gunnul folgte, eroberte Jamies Mund und Wesen zum ersten Mal. Jamie stöhnte auf und Gunnul erstarrte augenblicklich, ein besorgter Blick lag auf ihrem Gesicht. "Nein. Es ist OK. Was du tust, erregt mich, das ist alles." Erklärte Jamie.
"Mich erregt es auch, sehr sogar." Gab Gunnul ernsthaft zu und Jamie lehnte sich an Gunnuls Brust und versank in der warmen Umarmung dieser machtvollen Frau.
Gunnul saß in ihrem Schlafzimmer und starrte auf die Wand. Gerade hatte sie sich höflich vor Jamies Tür verabschiedet und sie leicht auf die Wange geküsst. Ein Teil von ihr sehnte sich nach Jamie, wollte sie in ihr Bett einladen und war bitter enttäuscht, dass sie nichts dergleichen getan hatte. Der andere Teil war ungeheuer erleichtert. Obwohl ihr Verlangen groß war, durchquerte sie doch dabei unsicheres Gewässer und das jagte ihr Angst ein. Jamie war eine Prostituierte und wusste sicherlich ungeheuer viel über Sex. Gunnul hatte nicht die geringsten Erfahrungen. Zum einen, weil sie traditionell aufgewachsen und erzogen worden war, zum anderen, weil der einzige Mensch, den sie jemals wirklich begehrt hatte, ihre imaginäre Geliebte war, deren Seele sie sorgsam in ihrem geheimen Garten verwahrte.
Außerdem gab es neben dem Verlangen nach Sex so viele andere Komplikationen. Chrissy musste geschützt werden, koste es, was es wolle. Und sich auf ihre leibliche Mutter einzulassen war bestimmt keine gute Idee. Die Frau war wesentlich netter, als sie sich vorgestellt hatte und dennoch war sie kein angemessener Umgang für sie, geschweige denn ihre Tochter. Eine Heidin noch dazu. Gunnul barg ihr Gesicht in den Händen. Sie war wie eine Motte, die sich in ihrem Begehren nach dem Licht selber verbrannte. Sie wusste, dass sie davonfliegen sollte und konnte es doch nicht. Dieses Verlangen war wie eine Droge. Alles was sie wollte, war, in Jamies Armen die Liebe zu entdecken und ihre Seele verzehrte sich danach mit überwältigender Wucht.
Jamie saß auf ihrem Bett. Ihr Bein tat höllisch weh. Es war ein langer Tag gewesen und sie hatte sich nicht beklagen wollen, weil alles, was Gunnul geplant hatte so aufregend und faszinierend gewesen war. Sie war gerne mit Gunnul zusammen. Es ängstigte sie, dass sie den gleichen Fehler wieder machen könnte, den sie schon bei Moe gemacht hatte, indem sie sich auf diese gefährliche Person einließ, die genauso aussah und sich genauso anfühlte, wie ihre heimliche Beschützerin. Und dann war da noch Chrissy. Wenn sie sich nicht mit Gunnul einigte, hieß das dann, dass sie ihre Tochter nicht sehen würde? Sie nahm es nicht an, Gunnul schien eine sehr ehrenwerte Frau zu sein. Aber war sie es auch? Sie sprach ganz beiläufig über das Töten und ihr Geld war das Geld eines Drogenbosses. Warum denkst du überhaupt darüber nach, dich auf diese Frau einzulassen, Jamie? Ihr Bruder hat dich beinahe umgebracht! Und es war offensichtlich, dass Gunnul nichts von der Schwäche ihres Bruders hatte. Sie war schnell, entschieden und in unglaublich guter Verfassung.
Sie war in einem völlig fremden Land und wusste überhaupt nichts darüber. Sie könnte doch einfach verschwinden und es würde nie wieder jemand von ihr hören. Diese Dinge passierten. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Das wäre doch eine Möglichkeit, sie davon abzuhalten, Chrissy mit sich zu nehmen. Warum hatte sie dieser Reise mit Gunnul zugestimmt? Dies machte sie unwahrscheinlich verletzbar! Weil Gunnul dir niemals weh tun würde, kam die Antwort aus der Tiefe ihrer Seele. Bitte, lass mich nicht wieder so verblendet sein, bat sie.
Außerdem gab es da diese erstaunliche Chemie zwischen ihnen beiden. Bei aller Macht und Autorität, war es klar, dass Gunnul unschuldig wie ein Baby war, wenn es um Sex ging. Ich glaube, sie hat noch niemals jemanden geküsst! Das ist erstaunlich! Sie muss fast dreißig sein. War es fair, sie zu ermutigen? Konnte sie selber damit aufhören? Oh Himmel! Auf was habe ich mich da bloß eingelassen?
*********
Gunnul hatte einen angenehmen Traum, sie lag in einer Hängematte und Jamie hatte sich an sie geschmiegt. Plötzlich schoss ein Gedanke mit Eiseskälte durch ihr Herz. Sie wachte mit einem Ruck auf, ihr Herz schlug rasend und kalter Schweiß stand ihr auf der Stirn. Hatte Jamie nicht erst gestern sehr energisch ihre Avancen abgewehrt? Und heute hatte sie sich küssen und festhalten lassen. Diese Frau war es gewohnt, ihren Körper als Mittel zu benutzen. Jamie musste ihr Verlangen nach ihr ausnutzen, um an Chrissy heran zu kommen. Gunnuls Magen revoltierte, sie rollte sich aus dem Bett und stürzte ins Badezimmer.
Jamie träumte, wie sie es schon tausendmal geträumt hatte: sie stand unter einer tropischen Sonne, Gunnul hielt sie fest umarmt. Sie konnte den heißen, würzigen Duft riechen und die seidige Haut ihrer Geliebten spüren. Plötzlich ließ die Erkenntnis ihren Traum in einer zerschmetterten Realität explodieren. Gunnul hatte sie eine Hure genannt! Sie scherte sich nicht im geringsten um sie! Sie wollte ihre Dienste in Anspruch nehmen! Hatte sie nicht so etwas gesagt?! Und Jamie war dumm genug gewesen, ihr nach ein paar entschuldigenden Worten auf den Leim zu gehen. Gunnul hatte sich vermutlich ins Fäustchen gelacht hinter ihrem Rücken! Jamie, du wirst manipuliert, und dann kann sie sagen, du wärest nicht gut genug, um Kontakt mit deiner Tochter zu haben! Oh Scheiße! Jamie rollte sich zu einem kleinen, schluchzenden Ball zusammen. Dieser Schmerz war für sie nicht zu ertragen.


Teil 2
Teefo tauchte kurz nach Jamies Frühstückstablett auf. "Die Kriegerin wünscht, heute zur Tour entlang der Küste nach Antalya aufzubrechen." Informierte er sie.
"Ist meine Tochter dort?" Fragte Jamie fest.
Teefo sah überrascht aus. "Dort weilt Miss Chrissy derzeit. General Dedemans Haus ist in der Nähe von Antalya und dorthin beabsichtigt sie mit Ihnen zu fahren. Das ist alles, was ich weiß." Sagte Teefo offen.
Jamie nickte. "Wie lange wird es bis dorthin dauern?"
"Zwei oder drei Tage denke ich." Erwiderte Teefo. "Die Kriegerin ist bemüht, Ihnen ein paar der historischen Stätten der Türkei zu zeigen."
Jamie biss vor lauter Frustration die Zähne zusammen und zwang sich zu einem Lächeln. "Dann werde ich wohl besser packen." Sagte sie und Teefo verschwand.
Eine steife und förmliche Gunnul erwartete sie neben Teefo am Wagen, als Jamie das Hotel verließ. "Guten Morgen, Jamie." Grüßte sie und wartete geduldig, dass Teefo der Amerikanerin half, das Gepäck im Wagen zu verstauen, bevor sie sich in den Fahrersitz gleiten ließ.
"Guten Morgen, Gunnul." Erwiderte Jamie genauso förmlich und nachdem Gunnul mit Teefo noch ein paar Worte gewechselt hatte, fuhren sie los. Sie wandten sich nach Südwesten und folgten der europäischen Seite der Türkei. Trockene Berge, übersäht mit kleinen Orten und schmalen Feldern zogen an ihnen vorbei.
Jamie war überrascht von den vielen Baustellen, doch als sie ihre Beobachtung Gunnul mitteilte, lachte diese nur. Es war das erste Mal an diesem Morgen, dass sie Zeichen von Entspannung zeigte. "Wir haben keinen Bauboom in der Türkei. Es gibt zwei Aspekte bei dieser ungewöhnlichen Art, zu bauen. Unser Prophet, Mohammed, hat es verboten, sich etwas zu borgen oder zu verleihen. Als gute Moslems dürfen wir daher keine Hypotheken aufnehmen. Aber nicht alle können in diesen modernen Zeiten genügend Geld sparen, um sich ein Haus zu kaufen. Also zahlen die Leute in Baufonds ein. Die Baufirmen nutzen den Fond um Apartments zu bauen. Immer wenn eine Etage fertig ist, dann ziehen die Leute ein, die das Apartment vollständig bezahlt haben. Dann wird das nächste Geschoss gebaut. Menschen, die ein eigenes Haus bauen wollen, fangen ganz klein an und ergänzen es entsprechend ihrer Vermögenslage. Es ist üblich, für die verheirateten Kinder ein zweites Geschoss auf das Elternhaus zu setzen. Die Familie ist wichtig für uns Türken. Aber es gibt natürlich noch einen anderen Faktor. Man bezahlt weniger Steuern, wenn das Haus nicht fertig ist, also belassen die meisten Leute einen Teil des Hauses als Baustelle, um Geld zu sparen. Wir Türken sind sehr praktische Leute!"
"Ist das Haus in dem du und Chrissy leben auch unvollendet?" fragte Jamie und beobachtete die gutaussehende Frau beim Fahren.
Da war ein Moment des Zögerns. "Ich bin sehr wohlhabend und besitze mehrere Häuser. Sie sind alle fertig gebaut."
"Wie verdienst du deinen Lebensunterhalt, Gunnul?" fragte Jamie, um zu sehen, wie die Frau reagieren würde.
"Meine Geschäftsinteressen sind sehr vielfältig. Aber das Fundament des Reichtums meiner Familie liegt in der Produktion von Opium." antwortete Gunnul ehrlich.
Jamie fiel der Unterkiefer herunter und bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, sprudelte sie hervor: "Du verkauftst tatsächlich illegale Drogen! Moe hat davon gesprochen, aber ich konnte nicht glauben, dass überhaupt jemand ein Drogenboss sein könnte und..."
Der Wagen holperte über ein Schlagloch und kam kreischend zum Stehen. "Drogenboss!" schnappte Gunnul, weiß vor Wut. "Wie kannst du es wagen, mich so zu nennen!? Ich bin nicht irgendeine Urwaldkriminelle!"
Jamie spürte, wie ihr Temperament mit ihr durchging. "Also, mach mir doch nichts vor! Moe hat mir erzählt, wie du ihn an Drogen herangebracht hast und wie du ihm sein Erbe gestohlen hast. Und du kannst es nennen, wie du willst, aber Drogen für den Verkauf zu produzieren, macht dich zu einem widerlichen Drogenboss, der sich am Leiden anderer bereichert!" Für eine minutenlange Ewigkeit herrschte Stille, während die beiden Frauen einander in die Augen starrten. Dann sprang Gunnul aus dem Wagen und blieb sichtlich aufgebracht am Straßenrand stehen.
Jamie wartete, nicht sicher, was sie tun sollte. Im Nachhinein erkannte sie, dass sie möglicherweise gerade ihr Todesurteil unterschrieben hatte und ihre Wut schlug ziemlich schnell in Angst um.
Nach ein paar Minuten stieg Gunnul wieder in den Wagen ein. Sie griff nach dem Lenkrad und starrte geradeaus. "Ich möchte dir eine Frage stellen. Bitte sei ehrlich zu mir, weil ich großen Wert auf deine Antwort lege. Hast du jemals als Prostituierte gearbeitet?"
"Was?!" bellte Jamie. "Pass auf, ich verstehe es ja, wenn wir die Dinge auf Grund unserer Kulturen ziemlich unterschiedlich sehen, aber ich habe niemals Geld für Sex genommen. Noch habe ich mich in irgendwelchen Betten herumgetrieben. Ich habe in einem Rehabilitationszentrum als Drogenberaterin gearbeitet. Dort habe ich deinen Bruder kennen gelernt. Er war als Freiwilliger gekommen, weil ihn angeblich die Geschichten über unsere Erfolge so beeindruckt hatten.
Gunnuls Kiefer verspannten sich. "Mein Bruder hat mir erzählt, dass er absichtlich einen Erben mit einer Prostituierten gezeugt hat, um Schande über unsere Familie zu bringen." Erklärte die Kriegerin.
"Wenn du meine Tochter misshandelt hast oder ihr eingeredet hast, sie sei nichts wert, dann bringe ich dich um!" schnaubte Jamie und konnte sich kaum zügeln, nach der kalten, schweigenden Person neben sich zu schlagen.
Eine Hand schoss so schnell hoch, dass Jamie noch nicht einmal die Finger sah, bis sie sich mit eiserner Kraft um ihre Kehle schlossen und sie vor ein ausdruckloses Gesicht zerrten. "Wage es ja nicht... mir zu drohen!" zischte die dunkelhaarige Frau und Jamies Herz schlug vor Angst in ihrer Brust, als sie die bedrohliche Kraft spürte, die die Türkin auszustrahlen schien. Gunnul kämpfte um Kontrolle und ließ Jamie schließlich wieder los. Ihre Hände krampften sich erneut um das Lenkrad. "Chrissys Hintergrund hat für mich nie eine Rolle gespielt. Und es wird keine Rolle spielen, was sie für Probleme haben mag... ich liebe sie." Bekannte sie schließlich verlegen.
Jamie streckte eine Hand aus und berührte Gunnuls Arm. "Es tut mir leid. Ich wusste es. Ich habe nur reagiert. Ich liebe sie auch, verstehst du." Schluchzte Jamie und kämpfte mit ihren Tränen. Gunnul nickte und lenkte den Wagen wieder auf die Straße zurück.
Nach ein paar Minuten sagte Gunnul: "Ich bin kein Drogenboss. Die Türkei ist der größte Opiumproduzent für den Pharmahandel und meine Farmen stellen den größten Teil des Exportes her. Ich verkaufe keine illegalen Drogen. Auch habe ich meinen Bruder nicht dazu ermutigt, welche zu nehmen. Es ist gegen unsere Religion und gegen meinen persönlichen Glauben. Ich habe niemals illegale Drogen zu mir genommen." Erklärte Gunnul. "Wenn es stimmt, was du sagst, dann hat mein Bruder uns beide betrogen."
"Du glaubst mir nicht?" fragte Jamie müde, plötzlich hatte sie keine Lust mehr, die Energie für einen Angriff aufzubringen.
"Ich würde es gerne, aber ich muss Chrissy schützen. Ich darf nicht... durch meine Gefühle für dich in eine Position geraten, die... zur Folge hätte, dass... meiner Tochter... weh getan wird." Erklärte Gunnul leise, ihr Kopf schmerzte vor Anspannung.
"Bereust du, dass du mich gestern geküsst hast?" fragte Jamie und starrte aus dem Fenster weil sie sich fürchtete, Gunnul anzusehen.
"Ja. Das war nicht klug." Antwortete Gunnul ehrlich und hielt mit grimmiger Entschlossenheit das Lenkrad fest.
"Ich bereue es auch." Gab Jamie mit flacher Stimme zu. Danach gab es nichts mehr zu sagen.
Sie folgten schweigend der Küstenstraße entlang der Marmara See, bis Gunnul schließlich auf einen Parkplatz zwischen kahlen Hügeln einbog. "Hier gab es früher wunderschöne Pinienwälder, aber ein Feuer durch einen Blitzeinschlag hat vor Jahren die meisten Bäume zerstört. Diese Gegend scheint für Tragödien bestimmt zu sein. Dieser Park war Schauplatz eines der schwersten Gefechte des ersten Weltkrieges.
Dies ist die Bucht von Anzac auf der Halbinsel Gallipolli." Erklärte Gunnul weiter.
Sie lenkte den Wagen in eine schmale Parkbucht, von der man über die gesamte Bucht sehen konnte. Jamie war froh aussteigen zu können und streckte ihr Bein aus. Es verursachte ihr noch immer Schmerzen nach dem gestrigen Spaziergang. Die Sicht aus der Höhe war bezaubernd. Es war schwer, sich all das Leiden und die Opfer der Australischen und Neuseeländischen Truppen vorzustellen, die hart gekämpft hatten, um diese Hügel von einem ebenso tapferen türkischen Heer zu erobern. Über Monate hatte Waffenstillstand geherrscht und sie hatten gelernt, einander zu respektieren und Freundschaften zu entwickeln, die zu oft mit dem Tod endete, nachdem sie Befehl erhalten hatten, die Linien des Feindes zu überschreiten. Reste von Stacheldraht waren noch immer zwischen alten Holzverhauen zu sehen. Gelbleuchtende Wildblumen wuchsen zwischen den Drähten.
Eine turmhohe Statue eines türkischen Offiziers beherrscht den Hügel. "Wer ist das?" Fragte Jamie.
"Das ist Atatürk. Der Gründer der modernen Türkei. Er ist für mein Volk der Befreier." Erläuterte Gunnul. "Als junger Offizier hat er hier gekämpft."
Nachdem sie Chanuk Bair besichtigt hatten, besuchten sie den Lone Pine Friedhof. Die Türken erwiesen auch den Gräbern ihrer Feinde nach nunmehr achtzig Jahren große Ehre und respektierten deren Stolz. Das Bild von so vielen Gräbern junger Menschen, die einst verloren waren, jagte Jamie Schauer ein. Sie drehte sich zu Gunnul um und sah, dass diese mit schmerzerfüllten Augen über den Friedhof blickte. "Du warst im Krieg, nicht wahr?" fragte sie leise.
Gunnul zwang ihre Gedanken aus der Vergangenheit in die Gegenwart zurück. "Ja, ein Mal. Aber nicht in dieser Größenordnung. Komm mit, ich will das Denkmal für die Kriegsgefallenen Türken zeigen." Gunnul lenkte den Wagen zurück in die Hügel und hielt an einem großen Monument. Wieder wanderten sie an Gräbern vorbei, jeder Grabstein war mit Blumen geschmückt. Jamie ging hinüber zu einer lebensgroßen Bronzestatue eines alten Mannes, der die Hand eines jungen Mädchens hielt.
"Gunnul, wer ist er?" fragte sie.
"Er war der letzte lebende Türke, der hier gekämpft hat. Er ist im Alter von 101 Jahren gestorben. Er hält die Hand seiner Urenkelin." erklärte Gunnul. "Als er starb, hat ihm die dankbare Regierung dieses Denkmal errichtet. Es war der Abschluss eines großen, aber tragischen Abschnittes der Geschichte meines Volkes." Erzählte sie, beugte sich nieder und legte ein paar wilde Blumen an den Fuß der Statue.
Jamie betrachtete das Gesicht des Kindes und erstarrte vor Überraschung. Sie drehte sich zu Gunnul um. "Dieses Kind bist du, nicht wahr? Und er war dein Urgroßvater!" Gunnul nickte und ging davon um am Wagen auf Jamie zu warten. Jamie streckte die Hand aus und berührte die verschränkten Hände der beiden, die über Generationen und Zeiten hinweg für immer mit einander verbunden waren. Gunnuls Urgroßvater. Chrissys Ur-Urgroßvater. Plötzlich erkannte Jamie, warum Gunnul sie hierher gebracht hatte. Chrissy nach Hause zu holen war ihr so einfach erschienen, als sie im Flugzeug gesessen hatte. Jetzt begann sie zu verstehen, wie komplex die ganze Geschichte eigentlich war und wie schwer es werden würde. Sie betrachtete die drei Hände zusammen und zog ihre plötzlich fort. Sie wandte sich ab und traf Gunnul am Wagen. Wieder setzten sie schweigend die Fahrt fort.
Sie aßen in der Nähe einer Küstenstadt zu Mittag, Reis und Hühnerfleisch und große saftig-süße Orangen zum Dessert. Die Konversation war höflich aber bedeutungslos. Dann fuhr Gunnul den Wagen auf die Fähre, die sie über die Dardanellen nach Kanakkale auf der asiatischen Seite der Türkei brachte. Spät am Nachmittag verließen sie die Hauptstraße und holperten einen Pfad unter Pinien entlang bis zu einer kleinen, wunderschönen Villa, die auf einem Hügel über der Ägäischen See stand. Zu Jamies Überraschung erwartete Teefo sie bereits hier. "Teefo wird dir deine Räume zeigen." Sagte Gunnul förmlich, nachdem sie mit ihrem Sekretär einige Minuten auf Türkisch gesprochen hatte. Dann drehte sich die große Frau um und verschwand.
"Bitte, kommen Sie hier entlang, Ms. Dedeman. Hatten Sie eine angenehme Reise?" Fragte Teefo und führte sie zu einer einfachen, aber schönen Suite mit französischen Türen, die sich auf einen steinernen Innenhof öffneten, mit einem unglaublichen Ausblick auf die Ägäis am Fuße des Berges.
"Ja, Gunnul ist eine aufmerksame und höfliche Gastgeberin." stimme Jamie zu und nach kurzem Überlegen fragte sie: "Teefo, können Sie mir etwas über den Krieg erzählen, an dem Gunnul teilgenommen hat?"
Teefo lächelte. Nur zu bereitwillig erzählte er über die Heldin, für die er die Ehre hatte, zu arbeiten. "Das war vor zehn Jahren, als General Dedeman das Erbe ihrer Familie nach dem Tod ihres Vaters angetreten hat."
"Wäre das nicht an Mohammed gewesen? Er war doch der einzige Sohn?" fragte Jamie.
Teefo schüttelte den Kopf. "Nein, er wollte nur das Geld. Es war Gunnul, die das Land wollte. Sie war mit vier anderen an der östlichsten Grenze und kontrollierte ein paar Minenprojekte der Familie, als sie an einen schmalen Pass eine Armee entdeckten, die eine Invasion in die Türkei vorzubereiten schien. General Dedeman übernahm die Kontrolle obwohl sie keinerlei Militärausbildung hatte und sie nur eine junge Frau von gerade mal zwanzig Jahren war. Sie verursachte einen Erdrutsch, so dass der Pass unpassierbar wurde. Dann hielten die fünf den Feind drei Tage lang in Schach, bis die Türkische Armee eintreffen konnte. Zu dem Zeitpunkt waren nur noch zwei von ihnen am Leben. Der eine ist ein paar Wochen später an seinen Verletzungen gestorben. Gunnul, obwohl selber schwer verletzt, überlebte. Der letzte Mann hatte Tagebuch geführt. Und dadurch haben die Türkischen Menschen von General Dedemans Tapferkeit und Führerschaft erfahren. Wir haben keine Frauen in den Streitkräften, aber jeder Mann muss seinen Dienst leisten. Doch die Türkische Armee war so beeindruckt von ihr, dass sie sie zum General befördert haben. Das ist eine sehr große Ehre!"
"Ja, das ist es," Stimmte Jamie zu und fragte sich, wie schwer Gunnul wohl verletzt gewesen sein mochte. "Hat General Dedeman nicht geheiratet?" Fragte sie, überrascht, dass in ihrer Stimme so etwas wie Eifersucht mitzuschwingen schien.
"Nein, ihr Verlobter starb an ihrer Seite in der Schlacht. Sie war, wie Sie verstehen, schwer verletzt und kann nun keine Kinder mehr bekommen." Erzählte Teefo wie ein altes Dorfweib, das über den Zaun tratschte.
Plötzlich explodierte ein Schwall von türkischen Wörtern im Raum und Teefo wurde aschfahl. Die beiden Schwätzer fuhren herum und entdeckten Gunnul, die in der Tür stand. Wut strahlte von ihr aus. Jamie schluckte und Teefo eilte davon. "Es tut mir leid. Es war nicht Teefos Schuld. Ich habe ihn gefragt und er hat ausschließlich Loyalität und Stolz gezeigt über deinen Mut und deine Opferbereitschaft."
Gunnul marschierte in das Zimmer und schaute Jamie mit Augen an, die kälter waren, als ein Gletscher. Jamie blieb, wo sie war, obwohl sie innerlich vor Furcht zitterte. "Du hast ein Recht darauf, etwas über die Mutter deines Kindes zu erfahren. Ich bin bereit, wenn auch zögernd, dir auf deine Fragen Rede und Antwort zu stehen. Bitte wende dich diesbezüglich nicht an die Menschen, die für mich arbeiten." Sagte Gunnul durch zusammen gebissene Zähne.
"Hättest du mir denn erzählt, was für eine Heldin du bist?" forderte Jamie sie heraus. "Oder was es dich persönlich für Opfer gekostet hat?"
"Ich hätte dir die Fakten jenes Ereignisses berichtet." Erwiderte Gunnul aufrichtig.
Jamie nickte, sie spürte, dass sie die Kriegerin hart an ihre Grenze gebracht hatte. "Dieser Raum ist wundervoll." Sagte sie. "Gehört das Haus dir?"
"Ja." Antwortete die dunkelhaarige Frau und kämpfte noch immer um die Kontrolle ihrer Emotionen.
Jamie hinkte zu einem Sessel und setzte sich verlegen hinein, Schmerz durchzuckte ihr Gesicht, bevor sie es verbergen konnte.
Gunnul bewegte sich vorwärts. "Geht es dir nicht gut, Jamie?" Fragte sie nervös.
"Es geht mir gut. Mein Bein schmerzt ein wenig, das ist alles." Antwortete Jamie ehrlich.
"Das tut mir leid. Ich habe nicht gedacht. Ich habe dich die letzten beiden Tage viel zu viel gelaufen," entschuldigte sich Gunnul und Sorge stand ihr ins Gesicht geschrieben.
Jamie lachte leise, sie fand die Art, wie Gunnuls Englisch davon glitt, wenn sie unsicher war, sehr zauberhaft. "Ich finde es schwer, zu warten, bis ich meine Tochter sehen kann, Gunnul. Aber ich verstehe warum du dir all die Mühe machst und ich schätze es, wie du versuchst, unsere Tochter zu beschützen. Ich bin mir sicher, dass du eine vielbeschäftigte Frau sein musst."
Gunnul lächelte und zuckte mit den Schultern. "Ich benutze den Computer nachts, um meine Geschäfte zu erledigen. Ich habe auch Teefo, der ein ebenso guter Geschäftsmann ist, wie ein Klatschmaul." Erklärte Gunnul. "Ich war gekommen um dich zu fragen, ob du Lust hast, mit mir zu schwimmen."
Jamie liebte das Schwimmen, doch nach einem Blick hinunter auf den sandigen Strand und den Weg über den Felsen, war sie sich nicht sicher, dass sie es bis dorthin mit ihrer Krücke schaffen würde.
Gunnuls wacher Blick folgte Jamies. "Keine Sorge. Ich kann dich ganz leicht zum Strand hinuntertragen und das warme Salzwasser wird deinem Bein gut tun." Beruhigte sie die ältere Frau.
Jamie lächelte. "OK."
Schnell hatte Jamie ihren Badeanzug und einen dazu passenden Mantel übergezogen. Das Handtuch um die Schultern geschlungen, stützte sie sich auf die Krücke, während sie mit einem Fuß in die Sandalten schlüpfte. Die Narben, die für gewöhnlich durch Hosen oder dunkle Strümpfe verdeckt wurden, waren nun offen zu sehen, sie verliefen über ihr gesamtes linkes Bein bis zum Knöchel. Das wiederhergestellte Knie war nicht richtig zusammengewachsen und ihr Fuß drehte sich leicht auswärts, wenn sie lief.
Sie traf Gunnul auf dem Haupthof draußen und entdeckte den Blick voller Horror und Sympathie, der über Gunnuls Gesicht flog, bevor sie ihn hinter einer Mauer einstudierter Höflichkeit verbergen konnte. "Bist du fertig, Jamie?" Fragte sie.
"Ja," erwiderte Jamie und war völlig gerührt vor Überraschung, als Gunnul sie aufhob und die Patiostufen und den Weg zum Strand mit ausgreifenden, langen Schritten hinunter ging. "Ah, ich kann laufen, Gunnul. Ich bin viel zu schwer."
"Dein Bein tut weh und du bist nicht schwer. Du bist sehr leicht. Ich glaube, du isst zu wenig." Bemerkte die ältere Frau ernst, wie es ihre Art war, wenn sie eine Entdeckung mitteilte. Jamie mochte den Geruch von Gunnuls warmer Haut. Sie fand ihn würzig und exotisch.
Am Strand setzte Gunnul Jamie an einer Liege ab, wo sie ihren Mantel und ihr Handtuch ablegen konnte. Dann hob sie die kleiner Frau wieder hoch und trug sie mühelos zum Wasser hin. "Kannst du schwimmen, Jamie?" Fragte Gunnul, als sie etwa hüfthoch im Wasser standen.
"Ja, ich bin eine gute Schwimmerin." Versicherte Jamie und Gunnul nickte und trug die Frau noch weiter nach draußen, bevor sie sie im warmen Wasser wieder absetzte. Das Wasser reichte Jamie bis zu den Schultern, als hätte Gunnul instinktiv gewusst, dass dies genau die richtige Tiefe für sie war. Erst nach dem sie sicher war, dass Jamie Grund hatte, ließ sie sie endgültig los.
Jamie entspannte sich und ließ ihren Körper treiben. Schon als Kind war sie eine gute Schwimmerin gewesen, aber seit der Verletzung hatte sie selten die Gelegenheit gehabt, ihre Ängstlichkeit hinter sich zu lassen und sich neu bewegen zu lernen. Gunnul sah das Vergnügen über das Gesicht der Frau gleiten und als sie sicher war, dass Jamie tatsächlich gut alleine zurecht kommen würde, drehte sie sich um und kraulte mit kräftigen Zügen auf die See hinaus.
Sie war weiter gegangen, als sie sollte, versuchte etwas von der nervösen Energie zu verarbeiten, die sie in diesen Tagen zu verzehren schien. So sehr sie es auch versuchte, sie fand keinen Schlaf in den Nächten, ihre Gedanken drehten sich beständig um die kleine Frau, die hierher gekommen war, um ihre Tochter zu stehlen und es fertig gebracht hatte, ihr statt dessen das Herz zu stehlen. Ich muss über diese Anziehung hinweg kommen! Ich muss Chrissy an die erste Stelle setzen, dachte sie zum tausendsten Male in dieser Woche.
Versunken in ihre Gedanken reagierte sie zunächst nicht auf Jamies Warnschrei. Der Jet Ski dröhnte, sein Fahrer war unaufmerksam, als er wendete, um zum Lager an der anderen Seite der Bucht zurückzufahren. Er bemerkte nicht, dass sein Fahrzeug einen Schwimmer gerammt hatte. Gunnul spürte einen stechenden Schmerz und dann gar nichts mehr.
Jamie tauchte nun schon zum dritten Mal. Ihre Hände gruben sich in den Sandboden. Gerade als ihr Lungen zu platzen schienen, berührte sie mit der linken Hand einen kalten Badeanzug. Sie griff noch einmal fest zu und erkämpfte sich ihren Weg zurück an die Oberfläche und zog den schweren Körper mit sich. Gott sei dank ist es Salzwasser und man kann besser darauf treiben, dachte sie. Sie holte so tief Luft wie sie konnte, während sie versuchte, sie beide über Wasser zu halten und presste ihren Mund über Gunnuls. Sie strampelt heftig mit den Beinen auf den Strand zu. Als sie endlich Grund unter den Füßen spürte, versuchte sie wieder Luft in Gunnuls Lungen zu blasen und schob die größere Frau auf das Ufer zu.
Im flacheren Wasser wurde es schwierig Gunnul zu helfen. Jamie brauchte den Auftrieb des Wassers um ohne ihre Krücke vorwärts zu kommen. Sie schlang ihre Arme um Gunnul und ließ sich auf den Rücken fallen, mit den Füßen stieß sie sich von Boden ab. Dicht am Strand halfen die Wellen und trugen sie, während sie Gunnul weiter beatmete. Wie lange war sie genau unter Wasser gewesen? Es schien Stunden gedauert zu haben, aber wahrscheinlich waren es nur ein paar Minuten. Jamie war schon auf Gunnul zugeschwommen, bevor das Fahrzeug die unaufmerksame Frau getroffen hatte.
Gunnuls Augenlider zitterten und Jamie blies noch einmal in ihren Mund. Endlich atmete die größere Frau rasselnd ein und Jamie drehte sie auf die Seite, wo sie Seewasser und Sand erbrach. "Teefo! Hilfe! Teefo!" schrie Jamie und hielt die noch immer halb bewusstlose Frau fest, um sie vor dem Ansturm der Wellen zu schützen. Jamie wurde schnell schwächer, erschöpft von der monumentalen Anstrengung die so viel größere Frau ans Ufer zu bringen. Endlich hörte sie aufgeregte Stimmen und freundliche Arme zogen sie von Gunnul fort.
*********
Gunnul ruhte sich aus. Der Arzt und verschiedene Bedienstete waren verschwunden, doch Jamie saß noch immer an ihrer Seite. Beide, der Arzt und eine zitternde Gunnul hatten ihr versichert, dass die Kriegerin wieder in Ordnung war und das sie sich ausruhen sollte, aber Jamie hatte es nicht über sich gebracht, die ältere Frau zu verlassen. "Du siehst so müde aus." Murmelte Gunnul schläfrig.
"Ein wenig," Gab Jamie zu. "Es ist wichtig, dass du noch ein wenig wach bleibst. Du hast eine schrecklich Beule am Kopf."
Blaue Augen trafen grüne und sperrten den Rest der Welt aus. Langsam beugte sich Jamie vor und huschte mit ihren Lippen über Gunnuls. Als sie sich zurück ziehen wollte, legte sich Gunnuls Hand um ihren Nacken und zog sie vorsichtig zu sich hinab. Ihre Münder öffneten sich den Forderungen der anderen und Begehren schlug plötzlich in Leidenschaft um. Jamie seufzte, als lange, starke Finger unter ihren Bademantel schlüpften und den Stoff von ihren nackten Schultern streiften und Gunnul sanft ihre Kehle küsste. Jamies Hände zupften an Gunnuls Kleidung und sie spürte, wie die mächtige Frau sich ihrer Leidenschaft hingab mit der Jamie über ihre Brüste streichelte.
Die große Frau zuckte sichtbar zusammen, als Jamie ihren Kopf neigte und eine von Gunnuls harten, erregten Brustwarzen in den Mund nahm. "Ich...ich möchte mir dir schlafen..." stöhnte Gunnul und kämpfte mühsam um Kontrolle, während ihre Hände hilflos über Jamies Rücken strichen.
Jamie krabbelte auf das Bett und legte sich auf den großen Leib der Kriegerin, ihre Körper nur noch durch ein dünnes Laken getrennt. "Ich glaube, das tun wir gerade," flüsterte Jamie und tief aus Gunnuls Kehle drang ein beinahe animalisches Raunen, sie rollte Jamie herum und bedeckte ihren Körper, hungrige Münder fanden sich und ergaben sich einander.
Das Vorspiel führte zum Höhepunkt und zu erschöpftem Schlaf zweier Frauen, die sich endlich gefunden hatten.
*********
Gunnul erwachte mit einem klopfenden Schmerz im Kopf und einem zufriedenen Grinsen auf den Lippen. Sie stützte sich auf einen Ellbogen und schaute auf die kleine Frau hinunter, die neben ihr lag. Mein ganzes Leben habe ich dich geliebt, meine Kleine. Wie soll ich dir das nur erklären? Wie soll ich dir begreiflich machen, dass unser Grab im geheimen Garten mich beeinflusst? Du wirst mich für verrückt halten. Unbewusst streckte sie eine Hand aus und strich mit einer Fingerspitze über die seidige Haut ihrer Geliebten. Grüne Augen öffneten sich flatternd und glänzend vor Freude. Gunnul beugte sich vor und eroberte Jamies Lippen. Arme schlangen sich um ihren Hals und Gunnul drehte sich auf den Rücken, mühelos die kleinere Frau mit sich ziehend.
Jamie brach den innigen Kuss ab, sie lag über Gunnuls Körper und schaute aus besorgten Augen auf sie herunter. "Gunnul, das ist nicht recht. Wir hätten das nicht tun sollen. Wir haben noch immer... ich meine wir könnten immer noch... wir sollten nicht.... da ist Chrissy," stotterte sie und eine tiefe Röte stieg ihr ins Gesicht.
Gunnuls Magen zog sich vor Enttäuschung und Angst zusammen. "Habe ich dich enttäuscht? Ich habe dir kein Vergnügen geschenkt? Ich habe keine Erfahrungen, Jamie, aber du kannst es mir doch beibringen." Jammerte Gunnul.
"Nein! Nein, du warst wundervoll. Ich habe noch nie... niemals hat jemand soviel Leidenschaft und Verlagen in mir geweckt. Ich kann gar nicht glauben, dass so etwas möglich war." Beruhigte Jamie sie und strich mit einem Finger über Gunnuls Lippen, dann, nicht im Stande, sich länger zurück zu halten, lehnte sie sich vorwärts und eroberte diese Lippen mit den ihren.
Sie gab die Kriegerin nur zögernd frei und barg ihren Kopf unter dem Kinn der größeren Frau. Es fühlte sich so richtig an, hier zu liegen. Es war, als wären ihre Tagträume wahr geworden. Endlich lag sie in den Armen ihrer geheimen Beschützerin, aber wie sollte sie Gunnul das erklären, ohne völlig irre zu klingen! "Meine Seele, mein Körper will dies so sehr, Gunnul, aber es ist keine gute Idee. Was ist mit Chrissy?"
Gunnul seufzte. "Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass ich dich nicht aufgeben kann, Jamie." Gab Gunnul zu und rieb ihren Kopf an dem der Geliebten.
"Gunnul, warst du jemals mit jemandem vor mir zusammen? Ich meine, bist du noch Jungfrau?" Fragte Jamie zögernd und schaute ihre Kriegerin mit besorgten Augen an.
"Der Schaden stammt von meiner Verwundung, nein, ich bin es nicht mehr, aber ich habe auch noch mit niemandem zuvor geschlafen." Erklärte Gunnul und Röte schoss ihren Hals empor.
Jamie streckte sich und küsste den warmen Hals. "Du warst verlobt, bist du sicher, dass du eine lesbische Beziehung willst?"
Gunnul nickte. "Ich bin mir sicher, dass ich dich will, Jamie. Meine Verlobung war arrangiert."
Schockiert setzte sich Jamie auf. "Das ist schrecklich! Wie sexistisch und primitiv!"
Gunnul lächelte. "Nein, nur anders. Ich hätte das Recht gehabt, seine Werbung zurück zu weisen. Er ist sehr sorgfältig für mich ausgesucht worden. Unsere Leben, Bildung, Hintergründe und Familien passten ausgezeichnet zusammen. Ich mochte ihn. Ich hätte eine sehr zufriedene Ehe geführt. Eure Art und Weise scheint nicht sehr viele glückliche Ehen hervor zu bringen."
Jamie dachte nach. "Nun, vieles obliegt der zufälligen Wahl und manche scheinen sich darin echt zu vergreifen. Aber wenn man seinen Seelengefährten trifft, dann ist die Liebe so groß, dass es alle Risiken wert ist, sie fest zu halten." Konterte Jamie.
"Hast du mit vielen geschlafen, Jamie?" Fragte Gunnul neugierig.
Jamie schüttelte ihren Kopf. "Ich habe schon immer gedacht, dass ich lesbisch sein könnte. Ich habe an der Universität mit einer Frau zusammen gelebt. Wir waren glücklich miteinander, aber ich habe immer gewusst, dass wir getrennte Wege gehen würden. Dann, als ich angefangen hatte, zu arbeiten, traf ich Moe. Ich... ich dachte, ich kriege es hin, aber... nun ja, was ich in ihm sah, war nicht wirklich vorhanden. Es war nur eine Illusion."
Stille. "Bin ich es?" Fragte Gunnul leise.
Jamie kuschelte sich wieder an die Seite ihrer Kriegerin. "Ja." Gab sie zu.
"Für mich ist es das Gleiche." Flüsterte Gunnul. In der nachfolgenden Stille strich Gunnul behutsam über Jamies warmes Dreieck. "Ich möchte Dinge tun mit dir, Jamie. Ich weiß nicht, ob es erlaubt ist." Bekannte die verwirrte Frau und konnte ihr Verlangen kaum noch kontrollieren.
Jamie nahm die starke, schmale Hand und schob sie zwischen ihre Beine. Sie stöhnte auf, Gunnuls Berührung schickte die wundervollsten Empfindungen durch ihren ganzen Körper. "Nimm mich, Gunnul. Nimm mich..." bat sie ernsthaft und spürte, wie sie von ihrer Liebsten zurück auf das Bett gepresst wurde.
**********
Gunnul lag auf dem Rücken, ihre Liebste schlief fest an ihrer Seite. Wow! Sie hatte Schwierigkeiten, mit der Tiefe ihrer Gefühle zurecht zu kommen, die an die Oberfläche geströmt waren, während sie beide sich einander vollständig ergeben hatten. Wow war ungefähr das Zutreffendste, was ihr im Moment einfiel.
Sie konnte ihren schweren Duft riechen und es erregte sie bis in ihr tiefstes Wesen. Sie konnte sich nicht mehr vorstellen, ohne Jamie zu leben. Sie strich mit einer Hand schmeichelnd über den nackten Rücken ihrer Liebsten. Bitte, lass es für dich genau so sein, Jamie. Bitte, verlass mich nicht!
Jamie erwachte vom stetigen Herzschlaf ihrer Geliebten. Für einen Menschen, der noch niemals mit jemandem geschlafen hatte, war Gunnul unglaublich gewesen. Ihre Seelen waren wie in einem Tanz zu einem Liebeslied miteinander verschmolzen. Aneinander gebunden auf einer Ebene, die Zeit und Raum verlassen hatte. Sie schaute zu ihrer schlummernden Kriegerin. Ich liebe dich, Gunnul. Ich habe dich mein Leben lang geliebt. Wie kann ich dir das bloß sagen? Wie schaffe ich es, dass es diesmal für uns beide funktioniert?
*********
Sie verbrachten den Rest des Tages im Patio und am Strand. Obwohl Gunnul ständig betonte, sie fühle sich gut, so sah sie immer noch blass aus und Jamie litt immer noch unter der emotionalen Achterbahn der letzten Wochen und den Anstrengungen bei Gunnuls Rettung. Jamie las in einem Buch über die Geschichte der Türkei, das Gunnul ihr gegeben hatte. Es schien, als sei alles, was in den letzten zwei Millionen Jahren von geschichtlicher Bedeutung war, in der Türkei passiert. Vom Neolithikum über Catal Hüyuk bis hin zur Luftbrücke im Unternehmen 'Wüstensturm'! Gunnul war mit ihrem Laptop und ihrem Mobiltelefon dabei, verschiedene Geschäftsangelegenheiten zu klären, die keinen Aufschub duldeten.
Nach dem Abendessen saßen sie aneinander geschmiegt in einem großen, weichen Sessel. Gunnul nahm ihr Telefon und schaute Jamie an. "Ich werde jetzt Chrissy anrufen." sagte sie und spürte, wie sich der kleine Körper neben ihr anspannte. "Ich spreche jeden Abend mit ihr, wenn ich unterwegs bin und es möglich ist. Ich werde türkisch sprechen, aber ich werde ihr sagen, dass ich dich nach Hause bringe, um sie zu sehen." Sagte Gunnul. Jamie war zu gerührt, um zu sprechen. Gunnul konnte es fühlen und zog Jamie fest an sich, küsste ihren Scheitel und wählte dann mit der anderen Hand die Nummer daheim.
Sie sprach schnell mit jemandem und schaute dann zur Erklärung auf Jamie. "Die Haushälterin. Chrissy spielt mit ihrem Hund im Garten." Jamie nickte und ihre Hände verkrampften sich in Gunnuls Hemd. Gunnul wandte sich wieder dem Telefon zu, ein breites, liebevolles Grinsen auf dem Gesicht, dann redete sie in glücklichem türkisch.
"Mammy?"
"Hallo, mein Liebling! Warst du liebt zu Shantu?" Fragte Gunnul.
"Ja. Heute waren wir zum Picknick in den Bergen über den Weingärten. Ich vermisse dich!" Erwiderte Chrissy glücklich.
"Noch ein paar Tage und dann bin ich daheim." Erklärte Gunnul. "Ich werde jemandem mitbringen, den ich sehr gerne habe, Chrissy. Ich glaube, du wirst sie auch mögen." Berichtete die Kriegerin weiter.
"Wen denn, Mammy?" Fragte das kleine Mädchen.
"Deine leibliche Mutter." Eröffnete ihr Gunnul.
Einen Moment herrschte gespanntes Schweigen. "Wirklich!? Sie ist hier?! Ist sie nett?!"
"Sehr. Sie hat mir gestern das Leben gerettet." Erklärte Gunnul und begann, ihrer Tochter die Geschichte zu erzählen.
"Bist du in Ordnung, Mammy?" Fragte das Kind besorgt.
"Es geht mir gut. Möchtest du deiner anderen Mutter hallo sagen?" Erkundigte sich Gunnul vorsichtig.
Einen Augenblick Zögern. "Wie soll ich sie denn nennen, Mammy?" Fragte das Mädchen verlegen.
Ein Knoten formte sich in Gunnuls Kehle und sie hatte Mühe, ihn herunter zu schlucken. "Ich glaube, du solltest sie auch Mutter nennen. Sie ist deine Mutter, genauso wie ich. Die meisten Kinder haben zwei Großeltern, du scheinst eben zwei Mütter zu haben!" Scherzte Gunnul und versuchte so, die schwierige Situation zu entkrampfen.
Jamie konnte die Anspannung in Gunnuls Körper fühlen und in ihren Zügen erkennen. Worüber redete sie mit Chrissy? Würde Chrissy sie sehen wollen, jetzt, wo sie wirklich hier war?
"Ja, ich möchte sie in der Türkei willkommen heißen, Mammy." Stimmte das Kind schließlich höflich zu.
"Gut." Erwiderte Gunnul mit Freude. "Du musst Englisch sprechen. Sie versteht kein Türkisch." Sagte Gunnul und hielt das Telefon an Jamies Ohr.
"Hallo Mammy?!" Hallte die klare Stimme eines Kindes.
"Hallo, Chrissy? Oh, Chrissy, Liebes, es ist so wundervoll, deine Stimme zu hören. Ich... ich habe dich so vermisst!" Schluchzte Jamie.
"Ich bin so aufgeregt, dich zu sehen. Willkommen in meinem Land, Mom! Ist es OK, wenn ich auch Mammy zu dir sage? Meine Mammy hat gesagt, das wäre OK." sprudelte Chrissy.
Jamie schaute in Gunnuls angespanntes Gesicht, die ihr und Chrissy genügend Privatsphäre lassen wollte, indem sie wie angenagelt auf das Meer hinausschaute. "Ja, wir sind beide so stolz darauf, dich als Tochter zu haben." Antwortete sie und streichelte mit einer ausgestreckten Hand über Gunnuls Wange. Gunnul drehte sich herum und schaute sie an, ein nervöses Lächeln lag auf ihren Lippen. Das ist wirklich schwer für Gunnul, erkannte sie. "Ich kann es kaum erwarten, dich zu sehen, Chrissy. Ich liebe dich sehr." Sagte Jamie mit tränenerstickter Stimme. "Hier, ich gebe dir deine andere Mammy, damit sie dir von unseren Plänen erzählen kann." Erklärte sie und konnte kaum noch an sich halten.
Gunnul nahm das Telefon und redete kurz mit Chrissy auf türkisch, während Jamie neben ihr leise vor sich hin schluchzte. Dann hielt die Frau, die sie liebte, die Mutter ihres Kindes sie fest und ließ sie alle ihre aufgestauten Gefühle aus sich herausweinen.
**********
Gunnul hatte Jamie angeboten, direkt nach Antalya zu fahren, doch Jamie war mit ihr überein gekommen, obwohl es ihr sehr schwer gefallen war, dass es sowohl für sie gut sei, mehr über die Türkei zu erfahren, als auch für Chrissy, sich an den Gedanken zu gewöhnen, ihre leibliche Mutter zu treffen. Sie hatte auch erkannt, dass Gunnul mehr Zeit brauchte, um mit ihren eigenen Gefühlen zurecht zu kommen. Es musste für sie sehr schwer sein, jemanden anderen so dicht an die Tochter heranzulassen, die sie liebte, überlegte Jamie.
Sie saßen beim Frühstück aus Pitabrot, frischem Joghurt und dem obligatorischen Käse mit Oliven, die für ein türkisches Frühstück ein Muss sind. Jamie gab sich Mühe, an dieser Variante Gefallen zu finden. Sie wollte ein Teil von Chrissys und Gunnuls Welt sein, so gut sie konnte. "Jamie, warum hast du mir das Leben gerettet?" Hatte Gunnul sie letzte Nacht im Bett gefragt.
Jamie hatte sie überrascht angesehen. "Ich kann doch nicht daneben stehen und jemanden sterben lassen, wenn ich ihm helfen kann." Hatte sie geantwortet und Gunnuls Haar nach hinten gestrichen. "Und was dich betrifft, das macht keine Ausnahme. Ich würde mein Leben für dich geben."
Gunnul schaute Jamie verwundert an. "Es hätte alle deine Probleme wegen des Sorgerechtes gelöst, wenn du es nicht versucht hättest." Betonte Gunnul praktisch und schaute tief in Jamies wunderbare Augen.
"Gunnul!!! Hättest du es denn getan, wenn es mich betroffen hätte?!" Fragte sie schockiert.
Gunnul sah jetzt genau so erschrocken aus. "Oh, natürlich nicht!" Die Kriegerin dachte ein paar Minuten nach und spielte mit Jamies Haar. "Es ist schwer für mich zu glauben, dass sich jemand freiwillig für mich in Gefahr begeben würde. Mein ganzes Leben lang haben die Leute nur immer etwas von mir gewollt, Hilfe oder Unterstützung. Ich bin reich und mächtig. Dass du dein Leben für mich aufs Spiel setzen würdest, macht mich zu etwas Besonderem, zu etwas sehr geliebten. Aber tu so etwas nie wieder, Jamie. Ich... ich könnte nicht... wenn dir etwas zustoßen würde, ..."
Jamie hatte sich aufgerichtet und Gunnul geküsst, bis sie verstummte. "Sh, Sh, denk nicht darüber nach. Niemand kann die Zukunft vorhersagen. Wir sind jetzt und hier zusammen und das ist gut so." Beruhigte Jamie sie.
Gunnul hatte sie enger an sich gezogen und sie waren den Wegen ihrer neuen Liebe bis zum Morgengrauen gefolgt.
Nachdem sie ihr Frühstück beendet hatten, spazierten sie hinaus zum Wagen und machten sich wieder auf den Weg. Als sie auf der Hauptstraße waren, nahm Gunnul Jamies Hand in ihre. Jamie lächelte leise, ihre Kriegerin war so stark und tapfer in vielerlei Hinsicht und doch so kindhaft und zerbrechlich in anderer. Sie hatte sehr schnell herausgefunden, dass Gunnul so oft wie möglich den physischen Kontakt zu ihr suchte, als fürchte sie, Jamie könne mir nichts dir nichts aus ihrem Leben wieder verschwinden. Nicht, dass Jamie etwas dagegen einzuwenden gehabt hätte! Ihre Kriegerin konnte ihr gar nicht nahe genug sein.
Sie fuhren nur ein kurzes Stück und bogen dann auf einen Parkplatz neben einem riesigen hölzernen Pferd ein. Gunnul schaute es an und schnaubte. "Eine Nachbildung des Trojanischen Pferdes," erklärte sie angewidert. "Die Touristen wären doch zu enttäuscht, wenn es nicht hier stünde. Das ist Troja." Fuhr sie fort.
Jamie lachte über Gunnuls offensichtliches Missbehagen und mit einem Funkeln in den Augen bestand sie darauf, dass Gunnul mit ihr in das Holzpferd kletterte und aus einer der Öffnungen auf die Ruinen von Troja schaute. In der schattigen Kühle des Pferdekörpers lehnte sie sich an die Türkin und küsste sie. "Ich kann nur schwer glauben, dass Helena von Troja schöner gewesen sein soll, als du." Frozzelte sie und Gunnul wurde unter der unerwarteten Attacke rot. Doch sie erwiderte den Kuss.
Sie spazierten durch die Ruinen, die eigentlich die Überreste von neun Städten darstellten, die aufeinander aufgebaut worden waren. "Die Schätze, die hier gefunden wurden sind in der Kolonialzeit heimlich nach Deutschland transportiert worden. Während des Zweiten Weltkrieges wurden sie nach Russland gebracht. Über viele Jahre hinweg wusste niemand, was daraus geworden ist, bis Russland sie schließlich ausgestellt hat. Deutschland hat augenblicklich behauptet, dass sie gestohlen worden wären und dass man sie zurück geben sollte!"
Jamie lachte, sie erkannte die Ironie der Geschichte. "Ich schätze, wenn Deutschland sie zurück erhält, dann werden sie sie an die Türkei ausliefern, den rechtmäßigen Eigentümer." Sagte sie sarkastisch.
Gunnul lachte auch. "Du sagst es. Als ob Schweine fliegen könnten."
Gunnul und Jamie wanderten umher und schauten sich alles an. Sie fragte sich, ob Jamie auf diesen Ort reagieren würde, wie sie selber es vor vielen Jahren getan hatte, als sie das erste Mal nach Troja gekommen war. Du bist schöner, Jamie, als Helena es jemals war, dachte sie wissend.
Sie spazierten gemeinsam den steinigen Pfad zu den Fundamenten des Tempels der Athene entlang. "Vor beinahe zweitausend Jahren hat Alexander der Große hier gestanden und über die Ebene geblickt, wie wir jetzt, Jamie. Er hat angeordnet, dass dieser Tempel zu Ehren Griechenlands wieder aufgebaut wird." Erklärte Gunnul in Jamies Rücken, als sie auf einem Felsen standen und das Panorama genossen.
Plötzlich fuhr Jamie herum und schaute Gunnul aufgeregt an. "Wir waren hier! Du hast Helena geholfen, zu entkommen!" Rief sie aus.
"Ja." Erwiderte Gunnul, ergriffen von der Erkenntnis, dass Jamie sich der gleichen Erinnerungen bewusst geworden war, wie sie selbst.
Jamie griff sich an die Stirn. "Oh, Mann, das ist etwas, woran man sich erst gewöhnen muss." Sie schaute zu Gunnul auf. "Hast du noch andere Erinnerungen? Ich meine, von mir und anderen Orten?"
"Ja, ich kenne dich schon mein ganzes Leben. Du bist immer zu mir gekommen. Es ist schwer zu erklären. Wir haben im Alten Griechenland gelebt, glaube ich, aber auch in der Gegenwart, in einem Dschungel." Bemerkte Gunnul.
"Der Amazonas." Stellte Jamie fest. "Du bist immer zu mir gekommen. Ich habe dich meine Beschützerin genannt. Das ist sehr eigenartig. Ich glaube wir müssen uns hinsetzen und darüber reden!"
Gunnul nickte und dann kehrten sie Hand in Hand zum Wagen zurück. Gunnul erklärte, dass dies in der Türkei wohl niemandem auffallen würde, da die Mädchen oft umarmt oder Hand in Hand zusammen gingen. Männer auch, wie sie ausführte. Und dann lachte sie und sagte, dass ein Mann und eine Frau in der Öffentlichkeit niemals Händchen halten würden.
Gunnul fuhr weiter und sie versuchten etwas Ordnung in ihre Gefühle und Eindrücke zu bringen. Es war eindeutig, dass sie beide ihr ganzes Leben einander gewahr gewesen waren. Sowohl ihres Lebens im alten Griechenland, als auch der letzten Erlebnisse am Amazonas. Gunnul verlangte schließlich nach einem Ende. "Wir haben es hier mit zu Vielem zu tun, Jamie, unsere Gefühle für Chrissy, unsere Liebe und die Geheimnisse unserer Vergangenheit."
Jamie seufzte. "Du hast Recht, Gunnul. Lass uns einfach schauen, wie sich die Dinge entwickeln. Ich fühle mich ein wenig überfordert."
Gunnul nickte. "Wir sind füreinander bestimmt, Jamie." Stellte sie fest, teils als Tatsache, teils als Bekräftigung. Sie hatte immer noch Schwierigkeiten, Jamie zu glauben, dass diese sie bedingungslos liebte. In Gunnuls bisherigem Leben hatte es immer irgendwelche Bedingungen gegeben. Außer bei Chrissy. Chrissy war der Lichtfunke in Gunnuls Leben und nun kam Jamie vielleicht hinzu.
"Ja. Wir sind Seelengefährten und ich glaube, wir sind es immer gewesen." Stimmte Jamie zu, legte ihren Arm um Gunnuls Schultern und lehnte ihren Kopf an die größere Frau. "Es hat nur seine Zeit gedauert, bis wir uns wieder gefunden haben."
Gunnul fuhr hinunter nach Bergama, unterhalb der Ruinen des alten Pergamon. Gunnul umkurvte die Touristenbusse auf der engen, Serpentinenstraße und Jamie hielt sich ängstlich an ihr fest. "Verdammt Gunnul, du hättest langsamer fahren können!" Stöhnte Jamie mit einem erleichterten Seufzen, als sie endlich an einem Parkplatz anhielten und ausstiegen.
Gunnul hob eine Augenbraue und schaute ihre Seelengefährtin amüsiert an. "Aber wo bliebe dann die Aufregung, Jamie?" Fragte sie unschuldig.
Jamie blieb stehen, stützte ihre freie Hand in die Hüfte und warf Gunnul einen unmutigen Blick zu. "Du bist von einem Boot angefahren worden und beinahe ertrunken, die leibliche Mutter deine Tochter taucht auf, um ihre Rechte geltend zu machen, du verliebst dich zum ersten Mal und entdeckst, dass eure Beziehung durch Raum und Zeit bestimmt ist und dann suchst du nach Aufregungen, weil du meinst, das Leben wäre sonst langweilig?!!"
Gunnul lächelte verschmitzt und zuckte mit den Schultern. "Ich glaube, wir haben schon aufregendere Leben hinter uns." Erwiderte sie.
"Ja, ja." Stimmte Jamie zu und nahm Gunnuls Arm, damit diese wusste, dass sie nicht wirklich wütend war. "Aber in jedem Leben haben wir etwas getan, dass mit dem Tode endete. Bitte behalte das gut in Erinnerung. Es hat lange gedauert bis ich dich dieses Mal gefunden habe und ich möchte, dass diese Beziehung lange hält!"
Gunnul blieb abrupt stehen und schaute Jamie verwundert an. "Willst du das, Jamie?"
Jamie erkannte, dass sie möglicherweise Ansichten über ihre Beziehung geäußert hatte, die nicht geteilt wurden. "Nun ja, ich meine... ja... wenn du dich damit wohl fühlst... ich meine, ich schlafe nicht mit jedem, weißt du!"
"Ich habe noch mit niemandem geschlafen. Ich habe auf dich gewartet, Jamie. Es wäre mir eine große Ehre, wenn du Teil meines Lebens werden würdest." Gab Gunnul nervös zu.
Jamie schaute auf den steinigen, trockenen Boden und dann in Gunnuls Augen. "Wir kennen uns erst ein paar Tage. Wir hatten zu Anfang keine besonders hohe Meinung von einander. Da ist immer noch die Sache mit Chrissy. Vielleicht geht das alles ein wenig zu schnell."
Gunnul erstarrte und sah aus, als sei sie geschlagen worden. "Komm jetzt, ich will dir die Anlage zeigen. Sie ist sehr schön." Sagte sie und schluckte hart.
"Gunnul, nein. Hör mir zu," bat Jamie und griff so heftig nach Gunnuls Arm, dass sie beinahe hingestürzt wäre. Gunnul hielt sie fest. "Hör zu, ich liebe dich. Ich habe dich, glaube ich, geliebt, seit Anbeginn der Zeit. Ich will deine Partnerin sein für den Rest meines Lebens. Aber ich versuche auch, realistisch zu denken. Wir sind Fremde. Wir kommen aus unterschiedlichen Kulturen.... verdammt, Gunnul, sieh mich nicht so an!"
Gunnul ließ den Kopf hängen und schaute Jamie aus verletzten, besorgten Augen an. "Ich liebe dich auch, Jamie. Ich will nicht, dass du mich verlässt. Aber ich verstehe, was du sagen willst. Ich werde dich nicht zu etwas zwingen, was du nicht willst."
Jamie lächelte freundlich. "Du bist so wundervoll, meine Kriegerin." Flüsterte sie.
Gunnul schaute sie erschüttert an. "W... wie hast du mich gerade genannt?!"
"Meine Kriegerin." Wiederholte Jamie überrascht.
Gunnul grinste glücklich. "Ich habe es immer gemocht, wenn du mich so nanntest." Sagte sie und nahm Jamie beim Ellbogen, um sie über eine unebene Steinrampe zu einer alten, griechischen Akropolis zu führen.
Weiße, korinthische Säulen ragten in den dunkelblauen Himmel, wie die Knochen eines lange vergangenen Zeitalters. Jamie war verzaubert von der geordneten Schönheit der Tempelanlage. Zerbrochene Statuen, noch immer in ihren Rüstungen, setzten sie ob ihrer feinen Ausführung und Schönheit in Erstaunen. "Oh, Gunnul, es ist so wunderschön hier." Seufzte Jamie und sog die Weite der Landschaft in sich auf, die in flimmerndes Licht getaucht und von der Grazie der klassischen Tempelsäulen gerahmt war.
"Ja, es ist sehr schön, aber ich helfe dir hier herunter. Unten ist es noch viel interessanter." Erwiderte Gunnul. Unter der Akropolis befanden sich noch immer die Überreste des unterirdischen Systems von Katakomben und Heizanlagen. Sie wurden unter dem Hügel konstruiert, auf dem sich später die Akropolis erhob. Jamie genoss Gunnuls ernsthafte Erklärungen über die griechischen Konstrukteure und ihre Fähigkeiten als Ingenieure. Sie konnte nicht anders, sie musste einfach lächeln. Ihre Kriegerin hatte immer schon die Schönheiten verpasst und war direkt auf die praktischen Seiten zu sprechen gekommen.
Gunnul entdeckte das amüsierte Grinsen. "Langweile ich dich, Jamie?" Fragte sie besorgt, als sie in einer dunklen Halle standen.
Jamie schaute sich um, um sicher zu gehen, dass niemand in der Nähe war, dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und küsste die Freundin. "Ich glaube, meine pragmatische Kriegerin, dass du dich seit Tausenden von Jahren keinen Deut geändert hast und dafür liebe ich dich." Gunnul wurde rot und zog Jamie in einem weiteren Kuss fest an sich.
Zurück an der Oberfläche zeigte Gunnul Jamie wo die berühmte Bibliothek von Pergamon gewesen war. Jamie starrte durch die Gitter auf die riesigen, steinernen Regale im Inneren. "Ich war hier, Gunnul, ich kann es fühlen!" Erklärte sie und spürte große Erleichterung, endlich mit jemandem über ihre seltsamen Erinnerungen reden zu können.
"Diese Bibliothek war die zweitgrößte der Alten Welt. Nur die berühmte Bibliothek von Alexandria in Ägypten war noch größer. Nachdem Alexandria niedergebrannt war, hat Cleopatra die Bücher aus Pergamon holen lassen, um ihre zu ersetzen. Es gibt keine Aufzeichnungen, was weiter mit ihnen geschehen ist." Erklärte Gunnul.
"Oh, Gunnul, kannst du dir vorstellen, wie es wäre, wenn man sie finden würde! Man hätte das ganze Wissen der Alten Welt in den Händen! Das wäre bestimmt aufregend!"
Schließlich zog Gunnul Jamie von der Schönheit der Akropolis und den langen Reihen der Souvenirhändler fort, die den Touristen lokale Kuriositäten zum Kauf anboten. "Aber ich muss Geschenke für alle meine Freunde mitbringen!" protestierte Jamie. Sie sah nicht, wie Gunnul erstarrte und auch nicht den verletzten Blick, der über das Gesicht der Freundin flog.
Sie fuhren hinunter zu einem Asklepion, einem der ersten bekannten Krankenhäuser der Antike. Jamie sah müde aus und rieb sich verstohlen das Knie, im Glauben, Gunnul würde es nicht bemerken.
"Wir müssen uns diese Anlage nicht ansehen, Jamie, wenn dir dein Bein weh tut." Sagte Gunnul, nachdem sie eingeparkt hatte. "Es ist eine riesige Anlage und überall ist der Boden uneben."
"Behandele mich nicht wie ein Baby, Gunnul." Schnappte Jamie ungehalten.
Gunnuls Gesicht verschloss sich zu einer ausdruckslose Maske. "Tut mir leid." Sagte sie leise. "Ich fühle mich schuldig für das, was dir passiert ist. Ich weiß, dass meine Familie dich verletzt hat."
"Gunnul, nein." Jamie nahm die Frau seufzend bei der Hand. "Ich habe die Entscheidungen in meinem Leben getroffen. Diese und all die anderen. Und selbst wenn mir diese Entscheidungen Schmerz bereitet haben, so haben sie mich doch zu dir geführt. Du versuchst immer, mich zu beschützen. Dafür liebe ich dich, aber übernimm nicht die Schuld für mein Schicksal. OK? Dein Bruder hat mich mit einem Baseballschläger verprügelt. Ich habe versucht, mich mit meinem Bein zu schützen. Es ist nicht deine Schuld. Ich habe es überlebt."
Gunnul war weiß geworden vor Wut und Jamie spürte, wie der Zorn von ihr ausstrahlte. "Wenn mein Bruder noch am Leben wäre, dafür hätte ich ihn umgebracht, was er dir angetan hat." Zischte sie durch zusammengepresste Lippen.
Jamie beugte sich vor und küsste sie. "Das hätte ich nicht zugelassen." Sagte sie und lächelte. Gunnul erwiderte das Lächeln und sie stiegen aus und wanderten hinüber zu einem Dach, unter dem die Eintrittskarten verkauft wurden. Jamie hatte bemerkt, dass Gunnul niemals zahlte. Wenn sie auftauchte, dann winkten die Wachen sie einfach durch. Das schien die Türkin in Verlegenheit zu bringen, aber sie merkte es nie an, sie lächelte einfach und flüsterte "Teashakequwe". Gunnul hatte ihr erklärt, dass dies Danke bedeutete.
"Die archäologischen Ausgrabungen sind immer vom Militär bewacht, Gunnul. Habt ihr Angst vor Terroranschlägen?" Fragte Jamie.
"Nein." Erklärte Gunnul. "Auch wenn die Türkei die Ansichten der fundamentalistischen Bewegung des Mittleren Ostens teilt, so hat die politische Partei ihre Basis bei den Armen. Das Land steht auf einem schmalen Grat zwischen Ost und West. Teilweise europäisch, teilweise asiatisch. Im Westen glauben die Menschen, dass die Kriege im Mittleren Osten vor allem mit Religion und Politik zu tun haben, aber das ist nicht wirklich der Fall. Es geht um das Wasser. Wer hat es und wer nicht, und wie viel ist man bereit, dafür zu opfern. In den letzten fünftausend Jahren ging es immer nur ums Wasser.
Die Türkei hat Glück. Wir haben genug Wasser. Unser Land ist sogar selbst in der Lage, seine Leute mit ausreichend Lebensmitteln zu versorgen. Also muss jeder türkische Mann seinen Militärdienst leisten. Wir müssen immer auf der Hut sein vor den Ländern, die uns beneiden. Es gibt eine Menge Soldaten. Die Regierung spart Geld, wenn sie sie anstelle von Wachschutzleuten einsetzen, um unser kulturelles Erbe zu schützen." Erläuterte Gunnul.
Jamie nickte, während Gunnul ihr über die lange, steinige Straße half, die zu beiden Seiten von griechischen Säulen gerahmt war. "Das ist ein Test, Jamie. Hier im Asklepion musste man gesund genug sein, um diese Straße ohne Hilfe hinunter zu gehen, sonst wurde man im Hospital nicht behandelt."
"Nun, dann lass mich los!" grinste Jamie und stieß Gunnul spielerisch in die Seite, damit diese auch wusste, dass es ein Scherz war. Gunnul lächelte stolz über Jamies Courage und gute Laune.
Sie war sich nicht sicher, ob sie so tapfer sein könnte. Nachdem sie in der Schlacht verwundet worden war, war sie eine schreckliche Patientin gewesen.
Sie erreichten den Haupthof und standen vor einem Amphitheater, das in den Hügel gebettet war. "Die Ärzte hier haben die Kranken über ihre Sinne behandelt. Sie nahmen an, dass Krankheiten durch eine Seele verursacht wurden, die aus dem natürlichen Rhythmus gekommen war. Es gab hier ein Theater, Musik, eine Bibliothek, Tanz und Dampf- und heiße Bäder, um dich wieder in Einklang mit dir selber zu bringen."
Jamie lachte. "Junge, dieser Ort in meiner Nachbarschaft würde ein Vermögen machen!"
Gunnul führte Jamie durch einen langen, dunklen Tunnel, der in einem runden Raum mit steinernen Schlafbänken endete. "Wenn ein Patient das erste Mal hier ankam, dann ließen ihn die Priester diesen Weg nehmen. Wasser lief die Wände hinab, der Klang sollte beruhigend sein, Nebel machte den Tunnel geheimnisvoll. In diesem Raum dann sollte man schlafen und träumen. Am nächsten Tag wurde man aus diesen Träumen aufgeweckt und die Priester wussten, wie sie dich behandeln mussten." Erklärte Gunnul und ging auf dem Weg voran, gefolgt von Jamie, die vorsichtig über den unwegsamen Boden lief.
"Himmel, dann hätte ich von Dampfbädern und einem guten Scotch geträumt." Gab Jamie zu. Gunnul blieb plötzlich stehen und schaute sie voller Sorge an.
"Du darfst nicht fluchen, Jamie!" Sagte sie. "Das ist kein gutes Beispiel für Chrissy. Wir Moslems fluchen und trinken nicht. Ich möchte, dass Chrissy das Beste von dir denkt."
Entrüstung stieg in Jamie auf, doch dann schluckte sie ihre wütende Erwiderung hinunter. Sie erkannte, dass Gunnul sie nicht verurteilte, sondern lediglich ihre Tochter schützen wollte. Sie wollte wohl außerdem, dass Jamie von ihr akzeptiert wurde.
"OK. Kein Fluchen. Kein Trinken." Versprach sie. "Warum hast du an unserem ersten Abend getrunken?" Fragte sie.
"Ich habe versucht, amerikanisch zu wirken und dir das Gefühl zu vermitteln, du seiest willkommen. Ich habe mich zum Narren gemacht und dich beleidigt." Bekannte Gunnul.
"Und ob, dein wahres Gesicht kommt zum Vorschein, wenn du betrunken bist." Frozzelte Jamie und boxte die ernste Gunnul in den Bauch. Das ließ die Türkin lächeln und sie gingen in heiterer Stimmung weiter. Gunnul blieb stehen, um Jamie eine Säule zu zeigen, auf der ein Stab mit einer Schlange abgebildet war, das Zeichen der Ärzteschaft. "Die Quelle hier besitzt eine natürliche Radioaktivität, wahrscheinlich sind ein paar der Leute wirklich geheilt worden." Beendete Gunnul und hielt der erschöpften kleineren Frau die Türe des Wagens auf.
Sie fuhren nach Izmir, wo Teefo sie bereits im Hilton Hotel erwartete. Gunnul zog Jamie in ihre Arme, während der Aufzug sie in die Suite brachte, die bereits auf sie wartete.


Teil 3
Jamie fühlte sich unglaublich warm und geborgen und umschlungen von ihrer Liebsten. Ihr lädiertes Knie ruhte auf Gunnuls Schenkel, der Kopf auf ihrer Brust und einen Arm hatte sie eng um ihre Mitte gelegt. Gunnul versuchte, sich unter ihrer Gefährtin hervor zu stehlen, doch grüne, verschlafene Augen musterten sie und ihr Griff wurde fester. "Wohin willst du denn um diese nachtschlafene Zeit verschwinden?" murmelte Jamie.
Gunnul küsste sie auf den Kopf. "Hast du den Muezzin gehört, der uns von seinem Minarett aus zum Gebet gerufen hat?" Jamie wurde sich halb des morgendlichen Verkehrs und eines unbestimmten Heulens aus der Ferne bewusst. "Ich gehe zum Beten."
"Kann ich mitkommen?" fragte Jamie, stützte sich auf einen Ellbogen und schaute Gunnul an.
Gunnul sah überrascht aus, dann erfreut. "Wir können beten und ich unterweise dich. Komm her." ermutigte Gunnul sie.
Jamie schlüpfte aus dem Bett, entschlossen, die Kluft zwischen ihrer Welt und der ihrer Tochter zu überbrücken. Gunnul rollte den Gebetsteppich aus und begann, zu erklären: "Wir wenden uns nach Osten, dort liegt Mecca, das spirituelle Zentrum der Islamischen Welt. Eure Kirchen sind auch so ausgerichtet, dass der Altar im Osten steht. Mein Gott ist euer Gott. Ich glaube nicht, dass viele Menschen im Westen das erkennen. Allah ist kein strenger, östlicher Gott. Der Koran lehrt uns das Alte und das Neue Testament. Wie kennen die Geschichte von Moses und den anderen Propheten und wir glauben an Maria und Jesus. Wir glauben allerdings nicht, dass er der Sohn Gottes war, aber von Mohammed glauben wir das auch nicht. In unserer Religion waren sie beide großartige Propheten für Gott." Jamie nickte und nahm alles auf, was Gunnul zu sagen hatte.
"Es gibt fünf Forderungen für alle Moslems. Zuerst muss man die Shahada sprechen, um zu bekennen, dass es nur einen Gott gibt und dass Mohamed sein Prophet ist. Als zweites muss man fünf mal am Tage beten. Gewöhnlich im Morgengrauen, Mittags, Nachmittags, zu Sonnenuntergang und am Abend. Aber es spielt nicht wirklich eine so große Rolle. Wir beten, wenn wir können und wir müssen uns dazu nicht in einer Kirche versammeln, denn wir wissen, dass alle Moslems in der Welt im Gebet vereint sind. Das nennt man den Sallaht. Freitags ist das gemeinsame Gebet in der Moschee, wie bei euch an Sonntagen. Die dritte Forderung ist der Zaqat, der Zehnte Teil deiner Einkünfte gehört den Armen. Viertens müssen wir zum Ramadan von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang fasten."
"Fastet Chrissy auch?" fragte Jamie.
"Kinder, Alte und Kranke und Schwangere müssen nicht fasten, man muss es auch nicht, wenn man auf Reisen ist. Chrissy hat, als sie kleiner war, eine Stunde am Tag gefastet. Das war leicht für sie. Jetzt fastet sie den ganzen Tag, bis auf einen kleinen Imbiss zur Mittagszeit." antwortete Gunnul. "Wenn sie vierzehn ist, dann erwarte ich, dass sie es richtig tut." sagte sie und schaute Jamie unsicher an. Jamie nickte, jetzt war nicht die Zeit, darüber einen Streit zu beginnen.
"Die letzte Forderung ist ein Besuch in Mecca. Chrissy war mit mir im letzten Jahr dort." beendete Gunnul ihre Erläuterungen und bedeutete Jamie, ihr zu folgen. Sie gingen in das Badezimmer und Gunnul wusch ihre Hände, das Gesicht und die Füße und wies Jamie an, das Gleiche zu tun. "Es ist wichtig, sich vor dem Gebet immer zu waschen. Man muss vor Gott mit reiner Seele und reinem Körper erscheinen. Manche Menschen im Westen glauben, dass die Islamischen Frauen schlecht behandelt werden, weil sie nicht mit den Männern beten dürfen, sondern im Hintergrund sitzen müssen. Dem ist nicht so. Es geschieht deswegen, weil wir sonst keine reinen Gedanken vor Gott haben, wenn wir zusammen sein würden. Der Islam hat die Bedingungen für die Frauen verbessert. Unser Glaube verbietet die Abtreibung oder den Missbrauch von Frauen. Ehefrauen müssen anständig behandelt und ihre Wünsche respektiert werden. Frauen sind erbberechtigt und können Eigentum besitzen. Ihre Rolle unterscheidet sich nicht von der der Männer, obwohl traditionell die Männer führen, unterstützen sie sich eigentlich gegenseitig. Jetzt komm zum Beten."
Gunnul führte Jamie zum Gebetsteppich. Dreimal verneigten sie sich nach Osten, während Gunnul die Erste Sure des Korans sprach: "Im Namen Gottes, des Allmächtigen, des Gnädigen..." Dann knieten sie nieder und senkten ihre Stirn auf den Boden. Jedes Mal wurden die Gebete wiederholt. Es dauerte nicht länger als fünf Minuten, dann rollte Gunnul ihren Teppich zusammen und räumte ihn fort.
"Betest du wirklich fünf mal am Tag, Gunnul?" fragte Jamie, denn dies war das erste Mal, dass sie bewusst ihre Liebste bei dieser Verrichtung wahr genommen hatte.
"Ich versuche es. Ich muss in zwei Welten Leben, der westlichen und der östlichen. Das ist nicht immer eine leichte Sache. Wenn ich für das Gebet nicht unterbrechen kann, dann bete ich kurz im Stillen, wo immer ich bin." erklärte Gunnul. "Gehst du in die Kirche, Jamie?"
"Nein. Ich bin im griechisch- orthodoxen Glauben aufgezogen worden, aber ich habe meinen Glauben nie ernsthaft praktiziert." erwiderte Jamie aufrichtig.
Gunnul nickte. "Wenn man sein ganzes Leben in der Wüste verbringt, dann bekommt der Glaube womöglich eine andere Bedeutung. Er gibt dir Hoffnung und Stärke. Hast du Hunger?"
"Immer." lachte Jamie und sie läuteten nach einem türkischen Frühstück.

*********

"Mein Gott." flüsterte Jamie voller Ehrfurcht.
"Du fluchst schon wieder, Jamie." sagte Gunnul streng.
"Nein, das tue ich nicht." sagte Jamie. "Ich drücke meinen Dank für all die prächtigen und schönen Dinge aus!"
Gunnul sah verwirrt aus. "Das ist eine Hymne. Warum..." dann entdeckte sie das Blitzen in Jamies Augen und lachte.
"Mein Ausruf bezog sich auf die schönste Fassade, die ich je in meinem Leben gesehen habe." erklärte Jamie.
Gunnul nickte. Sie waren frühzeitig nach Ephesus gefahren, um vor dem Ansturm der Menge dort zu sein. Jetzt standen sie über dem versunkenen Hauptplatz und betrachteten die dreistöckige, geschwungene Fassade der Bibliothek des antiken Ephesus. Die Fassade aus glattem, rosafarbenem Marmor war einfach nicht zu beschreiben, mit ihren Proportionen, den klassischen Säulenordnungen und den Statuen in den Nischen. "Hast du die Frauenstatuen in den Nischen gesehen, Jamie? Sie repräsentieren das Wissen, die Freundschaft, Verständnis und Weisheit. Die Bibliothek wurde von einem Sohn zu Ehren seines Vaters errichtet. Celsus. Seine Krypta ist noch immer zu sehen. Es war die drittgrößte Bibliothek der antiken Welt mit etwa 40.000 Schriftrollen. Man sagt, dass Aristoteles hier unterrichtete." prahlte Gunnul.
Jamie strahlte. "Hilf mir die Stufen hinunter, Gunnul. Ich will das Innere sehen!" Gunnul gehorchte der kleinen Frau, erfreut über Jamies Enthusiasmus über alles, was sie sah und kennen lernte. Im Inneren schaute sich die Amerikanerin um und versuchte, die Stimmung einzufangen, die hier einst geherrscht haben mochte und die von den Wänden zu ihr sprach, der Geruch nach frischer Tinte, das Raunen von Schülern, das Rascheln von Pergament. Beinahe konnte Gunnul auf der Außentreppe den wortgewaltigen Aristoteles mit seinen Studenten reden hören. Sie war oft hierher gekommen und durch die Ruinen gewandert, doch niemals hatte sie sich den Geistern dieser antiken Stadt so nahe gefühlt, während sie Jamie voller Erstaunen beobachtete.
Später saßen sie in einem perfekt wieder hergestellten Amphitheater, dass einst Raum für 25.000 Zuschauer bot, und versorgten sich aus der Lunchbox, die Teefo für sie zurecht gemacht hatte. "Paulus stand hier auf den Stufen, Jamie, und versuchte, die Menschen von Ephesus zum Christentum zu bekehren. Aber die Silberschmiede der Stadt hatten Angst, dass dann die Leute aufhören würden, silberne Amulette zu tragen. Sie organisierten den Mob, der während der zwei Stunden, die Paulus predigte dastand und brüllte: ‚Ruhm der Artemis von Ephesus!' Paulus musste aus der Stadt fliehen, sonst wäre er gesteinigt worden." erinnerte sich Gunnul. "Deswegen hat er seine Briefe an die Epheser geschrieben, die nun in der Bibel stehen!"
"Wow, das ist beeindruckend. Ich hatte ja keine Ahnung, dass in der Türkei so viel Geschichte passiert ist." gab Jamie zu. "Paulus hätte den Silberschmieden die Idee der Kruzifixe und Leuchter verkaufen sollen. Sie hätten ihn mit offenen Armen willkommen geheißen!" überlegte Jamie und brachte damit Gunnul zum Lachen.
"Dieses Theater wird noch immer genutzt. Im letzten Jahr haben mich Chrissy und ihre Freunde überredet, sie auf ein Rockkonzert von Sting zu begleiten. Meine Ohren dröhnen immer noch davon! Die Vibrationen der Musik haben die Konstruktion in Mitleidenschaft gezogen, so dass jetzt nur noch klassische und Folkkonzerte stattfinden können."
"Gunnul! Chrissy ist viel zu jung, um zu einem Rockkonzert zu gehen!" ereiferte sich Jamie.
"Jamie, ich bin viel zu jung, um zu einem Rockkonzert zu gehen!" mokierte sich Gunnul. "Ich hatte keine Ahnung von solchen Dingen und Chrissy, sie kann wirklich das Blaue vom Himmel herunterreden, sie hat mich überzeugt, dass es Teil der europäischen Kultur ist und etwas, dass sie erleben sollte, weil sie Halbamerikanerin ist. Die Mädchen hatten einen Riesenspaß. Ich bin über diese Erfahrung immer noch nicht richtig hinweg." Jamie lachte über den Ausdruck in Gunnuls schmerzverzogenem Gesicht und umarmte sie leidenschaftlich.
"Du bist mir schon eine, so viele Anstrengungen an allen Enden, nur damit deine Tochter auch sicher beide Seiten ihres Erbes kennen lernen kann. Das ist einer von vielen Gründen, warum ich dich liebe!" bemerkte Jamie und Gunnul errötete tief.
Es war ein langer Morgen und Jamie bestand darauf, die Mosaiken auf der Curetes Street, der Hauptstraße des antiken Ephesus, noch einmal anzusehen und den Trajan-Brunnen zu fotografieren, bevor sie zur Bibliothek zurück kehrten. Gunnul zeigte ihr das alte öffentliche WC mit seiner Reihe von 48 steinernen Sitzen und die Fußabdrücke, die in den Stein des Bürgersteiges geschlagen waren, um die Richtung anzuzeigen, in der das Bordell einst lag! Die Anlage hatte sich inzwischen sehr bevölkert, als sie weiter fuhren und Jamie war froh, dass Gunnul auf einem frühzeitigen Start bestanden hatte. Die Nacht verbrachten sie in der Nähe von Kusadasi am Ägäischen Meer.
Gunnul saß in ihrem Bett und Jamie zwischen den Beinen, gegen ihre Brust gelehnt. Sie nahm das Telefon und wählte die Nummer ihres Zuhauses, während Jamie sie nervös dabei beobachtete. Diesmal sprach Gunnul Englisch. "Hallo, Chrissy! Hattest du einen schönen Tag? Oh, gut. Wir waren in Ephesus. Hier, ich lasse deine amerikanische Mutter dir alles darüber erzählen." Gunnul reichte das Telefon an Jamie weiter und lehnte sich zurück.
Eine Familie. Konnten sie eine Familie sein? Warum hatte Jamie Bilder gemacht? Bedeutete das, dass sie sie mit nach Amerika nehmen wollte, um sich zu erinnern? Würde sie wirklich Chrissy verlassen? Würde sie versuchen, Chrissy zu entführen?
Nein, nein, Jamie würde niemals versuchen, Chrissy in die Staaten zu bringen, so ist sie nicht, grübelte Gunnul. Sie lehnte sich zurück und entspannte sich und genoss das Gespräch zwischen ihrer Liebsten und ihrer Tochter. Zuerst war es höflich und zurückhaltend, nun jedoch lachten und schwatzten sie ganz unbeschwert miteinander. Sie können beide das Blaue vom Himmel herunterreden! Dachte Gunnul. Jetzt stecke ich im Schlammassel!
Am nächsten Morgen durchforschte Jamie übermüdet ihre Handtasche nach ihrem Lipgloss. Sie hatte ihren Gebrauch an Make-Up beträchtlich eingeschränkt, da Gunnul selber auch selten welches zu tragen schien. Geldbörse, Pass, Schlüssel, Tickets... Lipgloss! Jamie verschwand wieder im Badzimmer. Wenn Gunnul so zeitig am Morgen aufbrechen wollte, dann sollte sie aufhören, sie die ganze Nacht durch ihre Liebe vom Schlafen abzuhalten! Jamie grinste sich im Spiegel an - vergiss das! Sie konnten ja auch einfach später aufstehen!
Gunnul kam in ihr Zimmer und hob eine Augenbraue, über das Chaos aus Jamies Tasche auf dem Bett. Sie war in ihrer Ordnung beinahe pedantisch und sie fand Jamies Nachlässigkeit zwar süß, aber auch frustrierend. Seufzend ging sie hinüber und begann die Sachen wieder zurück in die Tasche zu stopfen. Sie konnte einfach nicht widerstehen, sie öffnete Jamies Pass und schnaubte, als sie den blassen, traurigen Ausdruck auf dem Gesicht sah, das sie so sehr liebte. Warum mussten Passbilder immer so schrecklich sein?! Das breite Grinsen verschwand, als Gunnuls blaue Augen die Seite betrachteten. Der Pass war gleichzeitig auf Chrissy ausgestellt. Gunnul untersuchte die Flugtickets, eines war für Jamie, das andere lautete auf Chrissy. Ein einfacher Flug nach New York.
Jamie legte gerade ihren Lipgloss in ihre Make- Up- Tasche zurück, als die Badezimmertür aufgestoßen wurde. Gunnul stand im Türrahmen, weiß vor Wut, ihr Körper bebte vor gewaltbereiter Energie. Jamie stöhnte auf und zuckte zurück. Die blauen Augen bohrten sich mit einem Feuer in die ihren, das nicht mehr menschlich war. "Du hast mich zum Narren gehalten." zischte Gunnul. "Du hast mich verführt und die ganze Zeit hast du vorgehabt, Chrissy zu kidnappen." Jamie schüttelte ungläubig den Kopf, aber sie war nicht in der Lage, auch nur ein Wort zu sagen. Gunnul hielt die zerknüllten Flugtickets mit zitternder Faut hoch. "Niemals werde ich dich an sie heran lassen!" grollte die Kriegerin, drehte sich auf dem Absatz um und verschwand.
Jamie sank auf den Wannenrand und lehnte ihren Kopf an die Ecke der Wand. Nie in ihrem Leben hatte sie sich mehr gefürchtet! Sie glaubte, der Kriegsgott persönlich wäre zurück gekehrt, um sie abzuschlachten. Jetzt verstand sie, warum und wie Gunnul ihren Platz in dieser Männerwelt behaupten konnte und als große Kriegerin respektiert und gefürchtet war! Wenn sie wütend war, dann war ihre Stärke ungehemmt! Mein Gott! Sie hat die Tickets gefunden und dachte, ich würde sie benutzen, um ihr Chrissy zu stehlen!
Jamie setzte sich auf und atmete tief durch. Und das war exakt das, was ich geplant hatte, weswegen ich hergekommen bin. Aber doch jetzt nicht mehr, jetzt, da ich gesehen habe, was für ein gutes Leben Chrissy hier führt und was für eine liebevolle Mutter Gunnul ist. Ich will Chrissy in meinem Leben, aber doch nicht auf Gunnuls Kosten! Ich muss sie finden! Sie glaubt, dass wieder jemand sie benutzt, von ihr nimmt. Sie ist viel zu verunsichert um Vertrauen in meine Liebe zu haben und sie ist nicht in der Lage, damit umzugehen! Jamie stand auf und stürzte davon, um Gunnul zu finden.
Sie hinkte die Straße hinab auf der Suche nach einem Zeichen der Türkin. "Gunnul!" rief sie, es wurde nicht erwidert. Sie drehte sich um und lief so schnell sie es wagte den Fußweg zum Strand hinunter. Sie versuchte, sich auf dem festgetretenen Sand zu halten, strebte auf das Ufer zu, wo sie zwei Fischer sehen konnte, die mit ihren Netzen beschäftigt waren.
"Haben Sie eine Frau gesehen, groß, dunkel und wirklich gutaussehend?" fragte sie sie, aber sie grinsten sie nur an und zuckten mit den Schultern. Jamie wandte sich frustriert ab und machte sich wieder auf den Weg, doch einer der Männer griff nach ihrem Arm und riss sie zurück. "Hey! Lass los!"
Der Mann lachte nur und sagte etwas, was sie auch durch seine Körpersprache verstand. Jamie riss sich wütend los, gerade als der andere Fischer hinter ihr auftauchte. Er schnappte sich ihre Krücke und zog sie unter ihrem Arm fort. Jamie verlor das Gleichgewicht und stürzte in den Sand. Die beiden Männer lachten und einer beugte sich herunter und zerrte an ihrem Hemd. Jamie versuchte ihn abzuwehren, Panik stieg in ihr auf, als sie erkannte, dass sie in größten Schwierigkeiten steckte. Ein paar rasche Schläge auf ihren Kopf betäubten sie und sie spürte, wie ihr Verteidigungswillen brach.
Plötzlich zerriss ein Schrei die Luft und einer der Männer flog ins Wasser. Der andere kniete noch immer über Jamie und zog jetzt ein Messer aus seinem Gürtel, während er langsam aufstand und Gunnul entgegensah. Er holte aus, doch Gunnul schnappte sein Handgelenk und bog es mit einer Hand zurück, während sie den Ellbogen des anderen Armes in seine Kehle rammte. Die Knochen knirschten, der Mann ächzte erstickt auf und fiel in das Boot. Der erste Mann kam triefend aus dem Wasser und stürzte sich wutschnaubend auf die Kriegerin. Er deutete einen linken Haken an und schoss dann eine gerade Rechte. Sie wich ihr aus und trat ihm mit dem Fuß in die Knie. Ihre Hand schoss nach oben und traf ihn mit Wucht an der Nase. Das Nasenbein brach unter dem Schlag. Blut schoss hervor und strömte über sein Gesicht, während er zu Boden ging.
Gunnul schaute auf Jamie nieder, bleich vor Angst und Sorge. Die blauen Augen waren eisig, ruhig und kalt. Sie schaute sich um und entdeckte Jamies Krücke am Wasser. Sie hob sie auf und gab sie der liegenden Frau ohne ein Wort. Jamie krabbelte zaghaft auf ihre Füße, dann wankte sie auf Gunnul zu und schlang ihre Arme um sie.
"Lass mich los!" schnappte die wütende Frau und stand steinstill.
"Nein, nicht bis du mich angehört hast!" schrie Jamie wütend, ihr Griff um Gunnul festigte sich. Für einige Augenblicke war nur der Klang der Wellen und des Windes zu hören, dann hob Gunnul Jamie mühelos hoch und trug sie zurück ins Hotel. In ihrem Zimmer holte sie Eis, schlug es in ein Handtuch und legte das Paket auf Jamies Kopf, die nervös auf dem Bett wartete, auf dem Gunnul sie abgesetzt hatte. Jamie legte ihre Hand über Gunnuls und hielt sie fest, als diese versuchte, sich ihr zu entziehen.
"Nein, bitte setz dich zu mir." flüsterte Jamie und klopfte sanft auf eine Ecke des Bettes. "Bitte, lass es mich dir erklären."
Gunnul schluckte und schaute an die Wand, als ob die Antwort dort geschrieben stünde. Dann schluckte sie noch einmal, setzte sich auf die äußerste Ecke der Matratze und schaute traurig auf den Fußboden. "Ich habe lange Zeit mit der Ohnmacht gelebt, nicht zu wissen, wo meine Tochter ist, ob sie lebt oder tot ist. Mit der Angst, sie könnte geschlagen werden wie ich. Ich wusste nichts außer dem, was Moe mir erzählt hat und das war ein ziemlich schreckliches Bild. Ich bin hierher gekommen, um meine Tochter zu retten und ich hätte alles dafür getan. Sogar mit meinem schlimmsten Feind hätte ich geschlafen." Gunnul zuckte zusammen und ihre Schultern sanken vor Schmerz in sich zusammen.
"Aber ich habe statt dessen heraus gefunden, dass meine Tochter geliebt wird, unterstützt und geschützt von der schönsten und bemerkenswertesten Frau, die ich jemals kennen gelernt habe. Gunnul, ich liebe dich. Ich würde dich niemals verletzen, und dir Chrissy weg nehmen. Auch würde ich es Chrissy niemals antun, dich von ihrem Leben fern zu halten. Was auch immer zwischen uns passiert, ich hoffe wir können zu einem Ergebnis kommen, das uns beide an Chrissys Leben teilhaben lässt."
Langsam hob sich Gunnuls schmerzerfülltes und besorgtes Gesicht und schaute Jamie an. Jamie setzte sich auf und schlang ihre Arme um Gunnuls Nacken und lehnte ihren Kopf unter ihr Kinn. Zögernd zogen starke Arme sie an sich. "Liebe mich." Bat Jamie und Gunnul ließ sich mit ihr auf das Bett sinken. Ihre Liebe war wütend, fordernd und leidenschaftlich. Beide versuchten sie ihren emotionalen Schmerz zu verarbeiten.
*********
Sie begannen den Tag wesentlich später, als sie geplant hatten. Gunnul lenkte den Wagen mühelos mit einer Hand, die andere hatte sie fest mit Jamies kleineren verschränkt. Jamie schaute in Gunnuls Gesicht. Es war angespannt und abgekämpft. Sie ist immer noch erschüttert heute morgen. Ich weiß, dass sie mir glauben will, aber sie hat noch immer Zweifel, erkannte Jamie und hob ihre Hände an ihre Lippen. "Warum nimmst du nicht meinen Pass und die Tickets an dich, Gunnul?" bot sie an.
"Warum sollte ich das tun?" fragte Gunnul mit gezwungener Lockerheit.
"Weil du nicht sicher bist, ob du mir trauen kannst und weil ich es möchte." konterte Jamie.
"Das wäre eine schöne Liebe, wenn ich dich wie eine Gefangene behandeln müsste, um dich zu halten." erwiderte Gunnul, ihre Stimme troff vor Ironie.
"Nein, das wäre es nicht." stimmte Jamie zu. "Aber in der Zeit würde ich mir dein Vertrauen verdienen können." erklärte sie und lehnte ihren Kopf an Gunnuls Schulter. Gunnul drückte ihre Hand, unfähig Jamie zu sagen, dass sie ihr wohl traute und ihr dennoch zu versichern, dass sie es versuchen würde, weil sie sie beinahe bis zur Verzweiflung liebte.
Sie fuhren zu den Ruinen von Aphrodisias, einer Römischen Anlage, die für Jamie wesentlich leichter zu bewältigen war. Jamie beschwerte sich niemals, wenn der Grund für sie zu uneben wurde, um sicher darauf zu gehen, sondern nahm nur scheu lächelnd Gunnuls Arm. Gunnul erwiderte dieses Lächeln und ließ sie so wissen, dass sie es genoss, Arm in Arm mit der Freundin über die Anlage zu spazieren. Auf der Hügelkuppe konnten sie über die steinernen Stufen eines Amphitheaters blicken und Gunnul nahm Jamie in die Arme und trug sie die Treppe hinunter. Sie saßen einen Augenblick nebeneinander in dem perfekt wiederhergestellten Stadion, damit sich Jamie ausruhen konnte. "Es ist kaum zu glauben, dass das alles hier so alt sein soll. Alles was man bräuchte ist eine Menschenmenge und Rom wäre wieder überall."
"Lass uns das bloß nicht für meine Heimat wünschen." Schnappte Gunnul, dann erkannte sie, was sie gesagt hatte und beide brachen in Gelächter aus.
"So sehr hasst du die Römer..." Kicherte Jamie und stupste Gunnul spielerisch mit der Schulter.
"Nicht ich!" korrigierte Gunnul. "Sondern eine meiner Ahnen!"
Sie beendeten ihren Spaziergang in einem kleinen, aber bemerkenswerten Museum Römischer Skulpturen. Dann fuhren sie weiter nach Pamukkale.
Hier durchbrach ein unterirdischer Fluss, schwer mit Gips durchsetzt, die Oberfläche und ergoss sich über die Klippen. Im Laufe der Zeit war die Landschaft zu einem Märchenland geworden, mit schneeweißen Stalagmiten und Stalaktiten, hier und da hatten sich Becken mit warmem Wasser gefüllt. Von diesem Wunder, das Mutter Natur hervor gebracht hatte, konnte man über die gesamte, tiefergelegene Ebene blicken. Teefo hatte sie natürlich im besten Haus am Platze, ganz oben auf den Klippen, einquartiert. Sie konnten aus ihrem Zimmer auf den Patio hinaus treten, der wie eine Grotte aus weißem Gips eingerichtet war, mit einem Wasserbecken, das von unten durch Flutlichter angestrahlt wurde.
Sie saßen beieinander im Wasser unter den Sternen. Jamie lehnte sich in Gunnuls starke Arme. "Morgen werden wir bei mir zu Hause sein," erklärte Gunnul und spürte, wie sich die Frau in ihren Armen verspannte.
"Was, wenn Chrissy mich nicht leiden kann? Ich weiß nicht, ob ich damit zurecht komme," gab Jamie zu und lehnte instinktiv ihren Kopf gegen Gunnuls Schulter, die einen Arm um sie schlang.
Gunnul zog die nervöse Frau näher an sich heran. "Sie wird dich mögen." murmelte sie.
"Weiß sie über mein Bein Bescheid?" fragte Jamie leise.
"Ja. Ich habe ihr schon zwei mal davon berichtet, als du nicht in der Nähe warst. Ich erzähle ihr nichts, was du nicht auch hören könntest, Jamie, doch ich dachte, es wäre unangenehm für..."
"Es ist OK. Gunnul. Ich verstehe. Was hast du ihr gesagt?" fragte Jamie etwas ängstlich.
"So viel, wie man einer Zehnjährigen erzählen kann, ohne sie mit den Sorgen der Erwachsenen zu überfordern," erwiderte Gunnul. "Sie weiß über dein Bein Bescheid und was ich für möglich halte, ohne dich zu überanstrengen. Sie weiß, dass du dich nie beschweren wirst, also muss sie darauf achten..."
"Gunnul!" protestierte Jamie und wandte sich mit einem besorgten Blick ihrer Liebsten zu. Ihre Kriegerin hob eine Augenbraue und nutzte die Gelegenheit, um einen Kuss auf Jamies Nase zu hauchen.
"Ich muss ihr doch sagen, was ich denke! Du wirst dasselbe tun. Dann wird sie sich ihre eigene Meinung bilden." erklärte Gunnul. "Sie weiß, dass deine Verletzung durch ihren Vater verursacht wurde, als er krank war. Ich habe ihr nicht erzählt wie, sondern dass du verletzt wurdest, als du versucht hast, ihm zu helfen." Und als Jamie versuchte zu protestieren, "Nein, sie muss mit der Wahrheit zurecht kommen." Jamie nickte traurig, sie spürte, wie Gunnul sie näher an sich zog und entspannte sich.
Gunnul küsste Jamies Schläfe und beugte sich herunter, um ihr in die Augen zu sehen. "Ich habe ihr gesagt, dass ich dich liebe. Das ich das Gefühl habe, als wärest du ein Teil der Familie un... u... und dass ich hoffe, dass du... dass du bleibst."
"Oh, Gunnul," flüsterte Jamie, schüttelte ihren Kopf und schlang ihre Arme um den Nacken der Älteren. "Du bist so wundervoll. Ich... ich... wünschte, ich könnte..."
Schmerz durchfuhr Gunnul, presste ihr Herz zusammen, bis es beinahe vergaß, weiter zu schlagen. Die ausdruckslose Maske, ihre Verteidigung gegen die äußere Welt, verschloss ihr Gesicht, während sie Jamie eng an sich drückte und über ihren Kopf hinweg auf den Großen Wagen im samtigen Nachthimmel schaute. Ich denke, es sieht aus, wie ein Bär, sagte eine Stimme, tief aus ihrer Seele und sie zwinkerte die Tränen fort und barg ihr Gesicht in Jamies frischem Haar.
**********
Gunnul lag im Bett, ihre Augen starrten an die Decke. Sie fühlte sich im Innersten völlig leer. Mit einem Seufzen machte sie sich von Jamie los und tappte zur Patio- Tür. Sie schaute nach draußen in die Sterne und fand in ihrer Vertrautheit die Ruhe, die sie suchte. In einer anderen Zeit hatte ihre Liebste sie gelehrt, nach Bildern am Himmel zu suchen. Sie hatte vergessen, wie man Spiele spielte, außer dem Kriegsspiel natürlich und hatte sich zunächst dagegen gewehrt, doch dann hatte sie es versucht. Danach freute sie sich gewöhnlich auf solche Nächte, wenn die Sterne in so großer Vielzahl am klaren Himmel aufgezogen waren und der Erde näher als sonst zu sein schienen. Dann würden sie das Spiel spielen. Sie hatte ihrer Liebsten niemals gesagt, wie sehr sie solche Nächte genossen hatte. Die Worte hatten ihr immer gefehlt.
Aber eines Tages hatte die Freundin ihr scheu ein Gedicht gewidmet. Und vielleicht hatte sie gewusst, wie viel ihr dies bedeutete hatte, wieder zu lernen, wie man spielte, denn Tränen waren über ihr Gesicht gelaufen und sie hatte sie für eine sehr lange Zeit fest in die Arme geschlossen.

Hinter Gunnul erklang eine leise Stimme:
"Wir liegen beieinander
Unter einem Baldachin aus Sternen.
Einst sagtest Du:
Die Sterne
Bilden im Schatten
Einen großen Wagen.
Ich sagte dir
Sie sehen aus
Wie ein dummer Bär.
Du lachtest.
Weil ich nie
Die praktische Seite sah.
Ich küsste dich
Denn ich wünschte,
Du sähest
Das Wunder auch."

Gunnul wandte sich um und Jamie schlüpfte in ihre Arme und ihre Seele. "Verlass uns nicht, Jamie." flehte Gunnul.
"Das will ich auch nicht, Gunnul. Aber ich habe einen Job. Ich habe ein Apartment mit einer Hypothek. Ich kann nicht einfach verschwinden! Wovon soll ich leben? Was ist, wenn Chrissy mich nicht mag oder dich nicht mit mir teilen will?"
"Chrissy wird dich genauso lieben, wie ich es tue." sagte Gunnul fest, sie wollte einfach keine andere Möglichkeit in Betracht ziehen. "Ich könnte Teefo schicken, dass er sich um deine Wohnung kümmert. Er wollte schon immer nach Amerika. Und du brachst nicht für deinen Lebensunterhalt zu sorgen, Jamie. Ich bin wohlhabend."
Jamie wurde steif und zog sich zurück, sie schaute Gunnul aus blitzenden Augen an. Dann seufzte sie und schüttelte den Kopf. Gunnul konnte manchmal so unschuldig sein und andererseits wieder so weltgewandt und kontrolliert. "Ich werde mich nicht aushalten lassen, Gunnul!" erklärte sie entschlossen, wenn auch freundlich und als ihre Liebste zu Protest ansetzte, legte sie ihr einen Finger auf die Lippen. "Nein, darüber können wir jetzt nicht reden. Warte." Dann legte sie einen Arm um Gunnul und ließ sich wieder ins Bett bringen.
Sie liebten sich, langsam und zart. Sanfte Finger flüsterten über warme Haut und sprachen das uralte Poem der Liebe. Weiche Lippen spielten auf den Saiten des Herzens der anderen und kündeten der erstarrten Nacht von ihrem Höhepunkt. Danach fanden sich zärtliche Arme zu einem weichen Nest für den Schlaf.
Jamie liebte es in Gunnuls Armen auf das leichte, gleichmäßige Atmen zu lauschen. In solchen Momenten fühlte sie sich ganz. Heil. Doch dann griff wieder Dunkelheit nach ihr, die aus der alten Wunde kam und die sie so tief in ihrer Seele zu verbergen suchte. Gunnul war Moes Zwillingsschwester. Sie waren beide gewalttätig, nur dass Gunnul wesentlich furchteinflößender war in ihrer Intensität und ihrer Zielstrebigkeit. Moe war wie ein kleiner Junge gewesen, der im Zorn um sich schlug. Gunnul zu ermutigen, die Grenze zu überschreiten, wäre das Zugeständnis an jemanden, der weit mehr Macht und Kontrolle über sie haben würde, als Moe es jemals konnte. Konnte sie dieser Frau wirklich trauen? Sie hatte sie heute nicht bedroht oder gar berührt, dennoch war eine Wut von ihr ausgegangen, die wie körperliche Schläge war. Jamie küsste den Arm, der um sie geschlungen war und instinktiv, sogar im Schlaf, zog Gunnul sie enger an sich. Jamie schmiegte sich an sie und verdrängte die Dunkelheit wieder. Ich liebe dich, Gunnul. Es gibt da nur einen Teil in mir, der nicht sehr gut verheilt ist.
Der nächste Morgen fand ein seltsam stilles und nervöses Paar, das in Richtung Antalya unterwegs war. Sie überquerten das Taurus- Gebirge, dessen Gipfel dicht mit Pinien bewachsen waren und kamen bald zu einer Klippe, die sich weit über das Mittelmeer spannte und von der aus in der Ferne der Hafen von Antalya zu sehen war. Hier bog Gunnul durch ein großes, steinernes Tor und winkte der Wache am Eingang zu. Sie folgten einer gewunden Straße zunächst durch einen Pinienwald und später dann durch einen wunderschön gestalteten Garten zu einer märchenhaften Villa mit Panorama auf die See und das Taurusgebirge.
Gunnul kam zum Stehen und ein Diener eilte durch die geöffneten Türen. Teefo wartete natürlich auch auf den Stufen. Jamie schaute sich offenen Mundes um. "Jamie, stimmt etwas nicht?" fragte Gunnul besorgt. Jamie schüttelte den Kopf. Gunnul hatte gesagt, sie wäre wohlhabend, aber verdammt noch mal, das hier war nicht nur wohlhabend, das war schwerreich! Plötzlich konnte man das Geräusch von kleinen, rennenden Füßen vernehmen und ein wunderhübsches Kind mit dunkelbraunem Haar flog in Gunnuls Arme. Die Türkin fing sie lachend auf und warf sie in die Luft, fing sie wieder in einer riesigen, festen Umarmung und küsste ihre Wange, während sie einander auf Türkisch begrüßten.
Dann nahm Gunnul die Hand des kleinen Mädchens und brachte sie zu Jamie, die ganz weiche Knie hatte und sich schwer auf ihre Krücke stützte. "Chrissy, das ist deine andere Mutter, Jamie Dedeman."
Gunnul wusste nicht sicher, welche von beiden mehr Zuspruch brauchte. Sie waren alle reichlich geschockt durch dieses Zusammentreffen. Am Ende landeten alle drei in einer Umarmung und hielten sich eine lange Zeit aneinander fest. Schließlich nahm Gunnul eine jede beim Arm und führte sie in den Garten. Sie saßen zusammen auf einer viktorianischen Schaukel neben einem Lilienbeet, Chrissy zwischen sich, und redeten miteinander. Chrissy hielt sich an Gunnul fest, als gelte es ihr Leben und streichelte und berührte Jamie mit der anderen wieder und wieder. Jamie bestand nur noch aus Lächeln, trotz der Tränen, die ihr über die Wangen liefen. Gunnul schwieg, sie schlug ihre eigene Schlacht. Die Freude, ihre Tochter und ihre Seelengefährtin vereint zu sehen und gleichzeitig die Furcht, sie könnte Chrissy verlieren. Die anderen beiden wurden nicht sprachlos, sie füllten die Stille. Zwei identische, grüne Augenpaare glänzten vor Staunen und Tränen.
Stille Diener servierten den Nachmittagstee und Gunnul nahm mit Stolz zur Kenntnis, wie Chrissy als türkische Gastgeberin das Zitronenöl und die türkischen Köstlichkeiten anbot. Jamie sagte und tat alle Dinge richtig, sie benutzte die wenigen türkischen Worte, sehr zu Chrissys Erstaunen. Dann bereitete Chrissy türkischen Kaffee und sie tranken, während ihre Tochter ihnen von ihren Erlebnissen berichtete, während Gunnul fort war.
"Ich werde euch beide jetzt alleine lassen, damit ihr euch besser kennen lernen könnt." Sagte Gunnul nach einer Weile und stand auf. "Ich muss mich um ein paar Dinge für deinen Aufenthalt hier kümmern, Jamie, und dann muss ich nach den geschäftlichen Angelegenheiten sehen." Zwei grüne Augenpaar schauten alarmiert auf. Sie drückte zärtlich Chrissys Hand und beugte sich nach unten, um ihren Scheitel zu küssen. Ein Moment des Zögerns, dann klopfte sie Jamie auf das Knie und huschte mit den Lippen leicht über ihre Stirn. "Ihr seid meine beiden liebsten Menschen." beruhigte Gunnul sie und wandte sich dann dem Hause zu, Mutter und Tochter ihren Gesprächen überlassend. Es war das Härteste und Schmerzlichste, was Gunnul jemals in ihrem Leben getan hatte.
Teefo wartete im Schatten des Hauses. "Teefo, Mrs. Dedemans Räume..."
'"Ich dachte es wäre bequemer für Mrs. Dedeman, wenn sie in den an ihre Räume angrenzenden Zimmern untergebracht wird, General Dedeman." Gunnul hob überrascht eine Augenbraue. "Es wird einfacher für Chrissy sein, wenn sie Sie beide besuchen möchte. Dann muss sie sich nicht entscheiden." Die Augenbraue wanderte ein weiteres Stück nach oben. Teefo jedoch zeigte sich ungerührt, indem er fortfuhr: "Die Räume sind für den Partner des Oberhauptes des Hauses bestimmt, und ich nehme an, das trifft auf Mrs. Dedeman zu."
Einen Moment herrschte Schweigen, langsam verzogen sich Gunnul Lippen zu einem schmalen Grinsen. Teefos Gesicht blieb ausdruckslos. "Ich hoffe, Mrs. Dedeman akzeptiert solch ein Arrangement." sagte Gunnul schließlich.
Dieses Mal versagte Teefos Bemühen um Haltung und er sah ziemlich verblüfft aus. "Und sie muss sehr glücklich sein!" brach es aus ihm hervor und er errötete bis unter die Haarwurzeln.
Gunnul lächelte und hob eine Augenbraue. "Ich danke dir, Teefo." erwiderte sie.
Teefo räusperte sich verlegen. "Gern geschehen."
"Und du glaubst nicht, dass ich auch glücklich bin?" zog Gunnul ihn auf.
Über Teefos Gesicht glitt ein breites Grinsen. "Definitiv!" sagte er warmherzig und dann wurde ihm klar, dass er hier die Frau einschätzte, die sein Boss liebte. "Das heißt, wenn sie zu Ihnen passt."
Gunnul brach in lautes Lachen aus. "Ihr türkischen Männer und eure Vorliebe für Blondinen!" grinste sie, ihre Augen funkelten voll Freude darüber, dass andere Jamie auch schön fanden. Gunnul wechselte das Thema. Es war genug gesagt worden, sogar zu jemandem, der ihr so nahe stand, wie Teefo. "Bitte bring mir die Ordner ins Büro, ich muss einigen Firmen eMails senden." wies sie ihn an. Teefo nickte und verschwand leise, um die Order auszuführen. Gunnul wandte sich zum Garten um. Jamie erzählte eine Geschichte und Chrissy saß aufmerksam lauschend zu ihren Füßen. Sie lächelten beide. Schmerz schoss durch Gunnuls Herz und sie schluckte hart, dann wandte sie sich ab und ging eilig in ihr Büro.
"Chrissy, Liebes, tust du mir einen Gefallen?" fragte Jamie nach einer langen Zeit des Herantastens.
"Natürlich, Mom." erwiderte Chrissy mit einem leichten Akzent, den Jamie zauberhaft fand.
"Geh und suche jemand, der mich in mein Zimmer bringen kann und dann such deine andere Mutter. Ich möchte nicht, dass sie sich ausgeschlossen fühlt." wies Jamie sie an.
Chrissy lächelte und nickte, während sie auf die Füße kam, dann lief sie los. Jamie schaute über den riesigen Garten auf das massive Haus und die spektakuläre Aussicht. Mein Gott! Worauf habe ich mich da nur eingelassen? "Mrs. Dedeman?" erklang eine leise Stimme.
"Ja?" erwiderte Jamie und sah sich um auf eine ältere Frau, die scheu neben ihr wartete.
"Ich bin Shantu, die Haushälterin. Ich werde sie zu Ihren Räumen bringen, bitte." erklärte die freundliche Frau.
Jamie nickte und folgte der Frau durch die außergewöhnlichsten Räume, die sie jemals gesehen hatte. Shantu lief langsam und an den Treppen blieb sie zögernd stehen, zu höflich, um Jamie zu fragen, ob sie Hilfe benötigte.
"Ich bin OK. Ich schaffe es, wenn ich langsam gehe." erklärte Jamie, doch sie spürte, wie ihr die besorgte Frau in kurzem Abstand direkt folgte, um sie aufzufangen, sollte sie stolpern.
Sie gingen durch eine Halle und die Haushälterin öffnete eine Tür zu einem großen Salon. Französische Türen führten auf einen riesigen Balkon. Die Frau führte sie nach rechts zu einem Schlafzimmer. Es war beinahe so groß wie Jamies gesamtes Appartement daheim. Aus dem Schlafzimmer führte eine Tür zu einem Bad, komplett mit Whirlpool und Sauna und einem begehbaren Kleiderschrank mit Spiegeln vom Boden bis unter die Decke. "Wohin führt diese Tür?" fragte Jamie nachdem sie erfahren hatte, wie die Hifi- Anlage und der Computer zu finden und zu bedienen waren. Beides diskret hinter einer falschen Wand im Schlafraum verborgen.
Shantu errötete. "Bitte, diese Tür führt in die Räume von General Dedeman."
Jamie lächelte und wackelte mit den Augenbrauen. Die ältere Frau kicherte, während sie sich zurück zog.
Chrissy spazierte fröhlich in Gunnuls Büro, um den massiven Schreibtisch herum und krabbelte auf Gunnuls Schoß, während diese mit einem Partner in Saudi Arabien telefonierte. Gunnul nahm sie in die Arme und küsste die Schläfe ihrer Tochter und beendete nebenbei das Gespräch mit ihrem Geschäftspartner. Nachdem sie aufgelegt hatte, schaute sie ihre Tochter erwartungsvoll an.
"Sie ist nett, nicht wahr, Mom?" sagte Chrissy stolz.
"Ich glaube ja." erwiderte Gunnul aufrichtig.
"Sie erzählt lustige Geschichten. Sie war auf vielen Rockkonzerten und sie mag Jazz und Blues, wie du! Sie hatte sogar einen Hund, der hieß ‚Argo'. Ich habe ihr erzählt, dass dein Pferd auch so hieß.
Ist das nicht seltsam, Mommy? Ihre Augen haben die gleiche Farbe wie meine, aber sie denkt, ich sehe so aus wie du. Ist ihr Haar nicht wundervoll? Es ist wie Gold, nur weicher. Hast du ihre Haare mal angefasst, Mom? Es fühlt sich an wie Seide." Gunnul nickte, sie war Chrissys ungestüme Redeflüsse schon gewohnt.
Plötzlich wurde Chrissy ernst. "Ihr Bein ist nicht richtig zusammengewachsen. Ihr Knie hat so eine komische Beule und ihr Fuß dreht sich nach innen. Tut das sehr weh, Mom?"
Gunnul drückte Chrissy beruhigend an sich. "Ich glaube nur manchmal, ja, wenn sie das Bein überanstrengt." antwortete ihre Mutter ehrlich.
"Braucht sie dieses Metallding, um laufen zu können?" fragte das Kind neugierig.
"Ich habe gesehen, wie sie ohne es stehen und gehen konnte, wenn sie drinnen ist, oder der Boden eben. Aber sie braucht es zum Laufen, damit sie die Balance nicht verliert," erwiderte Gunnul und spürte, wie der Schmerz der Schuld nach ihrem Herzen griff.
"Mein Vater, er war ein böser Mann. Wird sie uns deswegen hassen?" fragte Chrissy mit besorgter Stimme.
"Nein! Natürlich nicht, Chrissy!" protestierte Gunnul. "Sie weiß das du und ich nicht so krank sind, wie dein Vater und sie versteht, dass dein Vater solche schlimmen Dinge nicht getan hat, weil er ein schlechter Mensch war, sondern weil er sehr krank geworden ist von Alkohol und Drogen."
Chrissy nickte traurig. Dann: "Sie mag dich sehr!" eröffnete ihre Tochter glücklich.
Gunnul reagierte überrascht und fragte nervös: "Woher weißt du das?"
"Sie hat mir die Geschichte von den beiden Männern erzählt, die versucht haben, sie am Strand auszurauben und wie du die aufgemischt hast und sie gerettet. Sie hält dich für wundervoll." sagte Chrissy stolz. "Und sie mag deine blauen Augen!"
Gunnul grinste, gerührt vom Lob ihrer Liebsten. "Ich habe ihr gesagt, dass du den bösen Blick hast und sie war wirklich überrascht. Also habe ich ihr erklärt, dass die Menschen in der Türkei glauben, dass blaue Augen über andere sehr viel Unheil bringen können. Sie hat gesagt, dass sie hofft, dass ich das nicht glaube! Ich habe gesagt, dass ich es nicht tue, aber viele andere schon."
"Gut, ihr beide scheint ja in der kurzen Zeit eine Menge übereinander erfahren zu haben," erklärte Gunnul. "Ich gehe nach oben und schaue nach, ob deine andere Mom sich zurecht gefunden hat. Warum gehst du nicht nach draußen zum Spielen und kommst nachher zum Beten und zum Mittagessen zu uns?" schlug Gunnul vor.
"Sie ist ein Moslem?" fragte Chrissy aufgeregt.
Gunnul lachte, "Nein, aber sie ist damit einverstanden, zu Allah auf unsere Weise zu beten, wenn sie bei uns ist. Und jetzt raus mit dir!" kommandierte Gunnul und Chrissy umarmte ihre Mutter und hüpfte durch die französischen Türen hinaus in den Garten.
Gunnul fand Jamie am Fenster in ihrem Schlafzimmer stehend, das sich auf die See öffnete. Gunnul trat schweigend hinter sie und legte ihre Hände auf Jamies Schultern. Jamie zuckte überrascht zusammen, lehnte sich aber dann an Gunnul und ließ sich von der Türkin in die Arme nehmen.
"Bist du OK?" fragte Gunnul besorgt.
"Ja, schon, aber ich bin emotional ein wenig überfordert." erklärte Jamie. "Sie ist wundervoll, Gunnul. Ich danke dir!" Dann begann sie zu schluchzen und Gunnul drehte sie herum, so dass die kleine Frau ihren Kopf an ihrer Schulter unter ihrem Kinn bergen und ihren Gefühlen freien Lauf lassen konnte.
Sie beteten alle miteinander. Jamie war jetzt in der Lage, die Eröffnungsformel in Türkisch zu sprechen. Sie hat ein wirkliches Empfinden für Sprache, dachte Gunnul stolz und das Wissen, dass Jamie bereit war, Chrissys türkische Erziehung anzuerkennen, wärmte ihr Herz.
Nach dem Essen zeigten Chrissy und Gunnul Jamie das Anwesen. Sie aßen spät zu Abend, auf dem Patio über dem Mittelmeer, und schauten dann im 'Medienraum' zum Abschluss ein Fußballspiel im Fernsehen an. Gunnul hatte berichtet, dass Fußball beinahe eine Religion für die Türken war und dass die Leute es sehr ernst nahmen. Jamie mussten die wichtigsten Grundlagen erst erklärt werden, doch bald schon hatte auch sie sich für das Spiel begeistert. Gunnul und Chrissy jubelten für die eine Seite, während Jamie für die andere Seite die Daumen drückte. Das Spiel endete 1:1 und mit einer Kissenschlacht auf der Couch.
Jamie und Gunnul brachten gemeinsam Chrissy zu Bett und Jamie erzählte die Geschichte von Paul Bunyon, die Gunnul genauso viel Spaß zu machen schien, wie ihrer Tochter. Später spazierten die beiden Frauen Hand in Hand zurück zu Jamies Räumen. "Du erzählst wundervolle Geschichten," lobte Gunnul. "In der alten Welt warst du eine Bardin, weißt du das?"
"War ich das?" rief Jamie aus. "Ich kann mich selber in den Erinnerungen so schlecht sehen, nur dich und was du tust." stellte die Amerikanerin fest.
Gunnul nickte, öffnete die Tür und folgte Jamie nach drinnen. "Für mich ist es genauso. Ich sehe dich. Ich spüre dich. Ich rede mit dir und du antwortest." murmelte sie und begann, Jamies Hemd aufzuknöpfen. "Was bin ich in deiner Erinnerung?"
Jamie wich ein Stück zurück und schaute in die überraschten und gleichzeitig besorgten Augen ihrer Kriegerin. Sollte sie es ihr sagen? Ja, sie musste es wissen! "Du warst die Zerstörerin der Nationen bis du dich gewandelt hasst und dein Schwert für das Gute gebraucht hast. Du warst die mächtigste Kriegerin in ganz Griechenland."
Gunnul trat ans Fenster und schaute in die Nacht. "Ich habe viele getötet, genau wie meine Ahnin. Da ist diese Dunkelheit in mir. Ich bin unverhältnismäßig stark. Ich muss immer besonders vorsichtig sein, damit ich die Menschen nicht aus Versehen verletze." Sie wandte sich um und schaute Jamie an. "Willst du deswegen nicht bei mir bleiben? Wegen der Gewalt in mir?" fragte sie und ihre Lippen zitterten vor Erregung.
Jamie seufzte. "Nein, es ist viel komplizierter. Ich glaubte, als ich Moe traf, dass ich endlich den Raum zwischen meiner eigenen, geheimen Welt und der realen Welt überbrückt hatte. Das war ein schrecklicher Fehler. Ich will diesen Fehler nicht noch einmal machen. Ich kann es nicht!"
Gunnul nickte und schluckte. "Jamie, möchtest du, dass ich dich nicht mehr berühre?"
Jamie schüttelte den Kopf und ging hinüber zu ihrer verstörten Liebsten. "Komm her, du große, dumme Kriegerin," flüsterte sie, ihre Lippen ganz nahe an denen der anderen. "Ich möchte, dass du mich hochhebst und zum Bett trägst und mich die ganze Nacht liebst." Und Gunnul führte zum ersten mal in ihrem Leben bereitwillig die Anordnungen eines anderen aus!
Nach dem Morgengebet und einem leichten Frühstück weckten Gunnul und Chrissy Jamie auf.
Chrissy rannte durch das Zimmer, sprang zu Jamie ins Bett und umarmte sie stürmisch. "Guten Morgen, Mommy! Hast du gut geschlafen?" fragte sie und krabbelte unter die Bettdecke, sich eng an ihre amerikanische Mutter kuschelnd.
Jamie suchte Gunnuls Blick, die ganz die Unschuldige mimte. "Ich war erschöpft und habe sehr gut geschlafen, danke, Chrissy." Gunnul schnaubte.
"Komm ins Bett, Mom!" forderte Chrissy sie auf. Sie lächelte, trat näher und ließ sich dann auf der Decke neben Jamie nieder, den Rücken gegen das Kopfende gelehnt. Jamie strahlte sie an. Nur wenige Stunden zuvor hatte sich Gunnul an der gleichen Stelle befunden, jedoch unter der Decke und eng an sie gekuschelt.
"Also Chrissy, womit sollen wir deine andere Mom heute unterhalten?" fragte Gunnul. Sie streckte eine Hand aus, um das Haar ihrer Liebsten zu berühren, klopfte dann aber nur das Kissen auf. Jamie kicherte.
"Ich glaube, wir sollten nach Antalya fahren und einkaufen!" erklärte Chrissy begeistert.
"Einkaufen!" wiederholte Jamie und setzte sich mit funkelnden Augen auf.
"Ja! Die Geschäfte in Antalya sind toll! Du wirst sehen. Ich liebe Einkaufen für mein Leben gern!"
Gunnul stöhnte. "Daher hat sie also diesen schrecklichen Charakterzug." grollte sie.
Jamie streckte ihr die Zunge heraus. "Du musst ja nicht einkaufen. Du kannst später nachkommen und unsere Tüten zurück zum Wagen tragen." schlug Jamie vor und Chrissy lachte.
"Ich werde überhaupt nicht einkaufen! Aber ich werde euch in die Stadt fahren und euch laufen lassen, während ich mich um einige geschäftliche Angelegenheiten kümmere." Stimmte Gunnul zu und stand zögerlich aus dem Bett auf. "Komm, Chrissy, mach dich fertig."
*********
Gunnul setzte die beiden Einkäuferinnen am Großen Ottomanischen Turm ab, der den malerischen Hafen von Antalya bewachte. Sie verabredeten sich für 2.00 Uhr am Nachmittag.
Punkt 2.00 Uhr Gunnul bog in dem Rolls, den sie an diesem Tag fuhr, um die Ecke, doch es war niemand in Sicht. Sie seufzte und verließ die Fahrbahn, um einen Parkplatz zu finden. Es war klar, die beiden würden bis zur letzten Minute bummeln und einkaufen!
Gunnul schaute auf ihre Uhr, während sie sich am Turm aufbaute. Sie waren jetzt schon fünfzehn Minuten über die Zeit und sie begann, sich Sorgen zu machen. Halb drei hatte ihre Sorge das Stadium von Panik erreicht. Was hatte sie getan? Sie hatte ihre Tochter einer Frau überlassen, die sie erst eine Woche kannte! Eine Frau, die Pässe und Tickets hatte und ihre Tochter mühelos rauben konnte. Es gab einen Flughafen in Antalya. Ihre Tochter konnte inzwischen entführt worden und auf dem Weg in die USA sein! Würde sie auf legalem Wege Chrissy zurück bekommen können, wenn ihre leibliche Mutter erst einmal mit ihr in den Staaten war?! Wahrscheinlich nicht. Gunnuls Herz schlug rasend vor Angst und ihre Wut kannte keine Grenzen.
Eine dreiviertel Stunde später entdeckte sie die beiden Vermissten, wie sie die Straße herunter kamen, in den grünen gleichen T-Shirts mit einer Disneyfigur auf der Schulter. Chrissy hatte Pluto und Jamie Donald Duck. Die beiden hielten einen Moment inne, als sie den mörderischen Blick in Gunnuls Gesicht sahen. "Wo... seid... ihr... gewesen!" schnaubte sie, die Hände in die Hüften gestemmt.
Tränen traten in Chrissys Augen und Jamie legte einen Arm um sie. "Es ist meine Schuld, Gunnul. Es tut mir leid..."
"Entschuldige,... ich dachte, du hättest... ich war in Sorge... Kommt. Der Wagen ist dort drüben." stammelte Gunnul und versuchte angestrengt, sich wieder in den Griff zu kriegen. Jamie und Chrissy tauschen besorgte Blicke und folgten gehorsam der erzürnten Kriegerin. Im Wagen war es für eine Minute völlig still.
Dann seufzte Gunnul und zerzauste Chrissys Haar. "Tut mir leid, Liebling, ihr beide habt mich zu Tode erschreckt, das ist alles." gab die Türkin zu.
"Uns tut es leid, dass wir zu spät waren, Mom und dass du dir Sorgen machen musstest. Wir wären ja pünktlich gewesen, aber es ist etwas passiert, dass ich dir nicht erzählen kann, weil ich es versprochen habe." erklärte Chrissy aufrichtig.
Blaue Augen schossen hoch und trafen Jamies. "Was ist passiert?" fragte sie ruhig, doch in einem Tonfall, der vermuten ließ, dass sie alles andere als ruhig bleiben würde, wenn sie nicht schnell eine vernünftige Erklärung bekam.
Jamie stöhnte und schaute aus dem Fenster. "Erzähl du es ihr, Chrissy." murmelte sie.
Chrissy war begierig darauf und sie tat es. "Mom ist auf eine unebene Stelle auf dem Gehweg getreten und in einen Stand gefallen, wo sie Getränke verkauft haben und der Mann auf dem Fahrrad hat geklingelt und das hat das Pferd erschreckt, das einen Wagen mit Touristen zog und es ist aufgestiegen und die Wagen mussten anhalten und fingen an, zu hupen und der Kutscher und der Getränkeverkäufer haben Mom angeschrien, die versucht hat, alles zu erklären, ich habe übersetzt und dann kam die Polizei." Berichtete Chrissy in einem Atemzug.
Stille. Dann: "Bist du in Ordnung, Jamie?" fragte Gunnul ernst.
"Ja."
"Gibt es noch etwas, was ich wissen sollte." Fragte Gunnul leise.
Chrissy antwortete: "Der Mann auf dem Fahrrad hat nicht mal angehalten und der Polizist hat nach Moms Pass gefragt und unsere Namen aufgeschrieben. Aber als ich ihm meinen nannte, hat er gefragt, ob ich deine Tochter bin und ich habe ja gesagt und wir konnten gehen."
Gunnul nickte und schaute durch die Windschutzscheibe, ihr Gesicht verriet keine Gefühlsregung, bis auf eine Augenbraue, die beinahe in ihrem Haaransatz verschwand. Sie startete den Wagen und fuhr auf die Straße. Die Fahrt zum Anwesen verlief schweigend.
Als sie ankamen und durch den Haupteingang traten, sagte Gunnul: "Chrissy, du bringst die Einkäufe nach oben und packst sie aus, ich muss mit deiner Mutter reden. OK?"
Chrissy nickte und nach einem besorgten Blick in Jamies Richtung, verschwand sie nach oben. Als sie außer Sicht war, öffnete Gunnul die Türe zu ihrem Büro und forderte Jamie auf, einzutreten. Deren Hinken war offensichtlicher als sonst, doch Jamie tat wie ihr geheißen, zu besorgt, um die Schönheit und den Reichtum des Raumes anzuerkennen. Sie verschwand beinahe in dem riesigen Ledersessel vor Gunnuls massivem Schreibtisch aus Kirschbaumholz.
Gunnul kam herüber und schaute auf Jamie nieder, dann kniete sie vor ihr nieder und nahm Jamies kalte Hände in ihre. "Es tut mir leid. Ich hatte Panik. Kannst du mir meine Zweifel vergeben?" fragte sie leise, mit einem wirklich besorgten Ton in der Stimme.
Jamie nickte unter Tränen und Gunnul zog sie in ihre Arme. "Bitte Chrissy nicht, die Wahrheit vor mir zu verbergen, OK? Sie wurde dazu erzogen, immer ehrlich zu sein."
Jamie nickte. "Das war wirklich dumm von mir, Gunnul. Ich möchte nicht, dass sie oder ich Geheimnisse vor dir haben. Es war nur, dass ich mich das erste mal um Chrissy kümmern sollte und ich habe wirklich ziemlichen Mist gebaut. Es war mir peinlich."
Gunnul nickte verständnisvoll und beugte sich lächelnd vor, um Jamies Stirn zu küssen. "Es ist schade, dass ich es verpasst habe. Es scheint als hättest du ganz schönes Aufsehen erregt!" scherzte sie.
Jamie lehnte ihr Gesicht an Gunnuls Hals. "Ja, das habe ich." stimmte sie zu.
"Und jetzt sagst du mir, ob du dich verletzt hast." ordnete Gunnul an und stricht sanft über Jamies Rücken.
"Ein paar Beulen und Kratzer, Gunnul, das ist alles und ich habe mir das Knie verdreht und jetzt ist es wund." antwortete sie ehrlich.
"Brauchst du einen Arzt, Jamie?" fragte Gunnul und versuchte, nicht überbesorgt zu klingen.
"Nein, es geht mir gut. Ich brauche nur ein wenig Ruhe." antwortete Jamie.
Gunnul hob Jamie auf ihre Arme und trug sie in ihr Zimmer. Sie bereitete den Whirlpool für sie vor, während Jamie sich entkleidete. Als sie zurück ins Schlafzimmer kam, fand sie ihre Liebste auf der Couch sitzend in einen Hausmantel gekleidet und einem Päckchen im Schoß. "Das habe ich für dich gekauft," erklärte sie. Gunnul öffnete das Paket und fand ein grünes T-Shirt mit einer Mikey Mouse auf der Schulter. Sie lachte. "Ich wollte nicht, dass du dich ausgeschlossen fühlst." lächelte Jamie weich, Röte stieg ihr den Hals empor.
Gunnul schlüpfte aus ihrer Hundert- Dollar- Seiden- Bluse und zog das Baumwollshirt über den Kopf. "Ich danke dir, Jamie. Ich werde es gerne tragen!" Jamie lächelte glücklich und Gunnul hob sie auf und trug sie in das Badzimmer.
Später hatten es sich alle drei in Jamies Bett gemütlich gemacht und aßen von Tabletts, während sie sich eines von Chrissys Disney-Videos anschauten. Jede trug ihr T-Shirt. Chrissy erklärte Gunnul ganz ernsthaft, dass sie Mikey Mouse auf ihrem hätte, weil Jamie gesagt hatte, dass das der Führer des Stammes sei! Gunnul wurde rot und umarmte Chrissy und Jamie hob die Augenbrauen.
In dieser Nacht lag Jamie in Gunnuls Armen. "Morgen früh, Jamie, möchte ich, dass du im Bett bleibst." Jamie wollte protestieren, doch Gunnul schnitt ihr das Wort ab. "Dein Bein braucht Ruhe. Am Wochenende werden wir eine Hochzeit in Cappadocia besuchen. Du musst dich ausruhen."
"Gunnul, vielleicht möchte deine Cousine aber keine Fremde bei der Hochzeit dabei haben." protestierte Jamie, doch Gunnul lachte.
"Sie kann mir gar nicht dankbar genug sein! Du wirst den bösen Blick bannen!" lachte sie.
"Ich werde was?!" regte sich Jamie auf, doch zu Gunnuls Freude stimmte sie in ihr Lachen mit ein.
"Es ist ein Aberglaube. Blonde, blauäugige Menschen bringen Glück für eine Hochzeit. Du wirst meinen bösen Blick überwachen! Du neutralisierst mich!" kicherte Gunnul.
Jamie stieß Gunnul in die Rippen. "Ich habe grüne Augen! Wie du sehr wohl weißt! Und ich halte deine Augen für wunderschön und wenn ich irgend jemanden etwas anderes sagen höre, dann kriegt er es mit mir zu tun!" argumentierte Jamie und ihre grünen Augen blitzten.
Gunnul wurde still und schaute in die smaragdene Tiefe. "Morgen werde ich dich an einen sehr geheimen Ort bringen, Jamie." Sie löschte die Lichter und zog ihre Liebste fest an sich.


 Teil 4

 

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